Die Filmemacher Marcus Vetter und Michele Gentile porträtieren Luis Moreno Ocampo, der als erster Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof Kriegsverbrecher jagte. „Er hat den Stummen eine Stimme gegeben“, schwärmt Schauspielerin Angelina Jolie.

Stuttgart - Luis Moreno Ocampo lümmelt in seinem Bürostuhl. „Wer sind die Hauptfiguren hier? Ich glaube nicht, dass ich in eurem Film eine Hauptfigur bin“, sagt der Argentinier listig. Ocampo jagte von 2003 bis 2012 als erster Chefankläger am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag Kriegsverbrecher. Im Auftrag der Weltgemeinschaft, genauer: im Auftrag der Staaten, die das Rom-Statut von 1998 ratifiziert hatten. In dem Dokumentarfilm von Marcus Vetter und Michele Gentile ist von 116 Ländern die Rede, mittlerweile sind es mehr als 120, darunter auch Deutschland. USA, Russland, China, auch der Iran, die Türkei und Israel erkennen das ICC allerdings nicht an.

 

Vetter und Gentile haben Ocampo dann doch zur Hauptfigur gemacht und ihn über mehrere Jahre begleitet. Wir sehen einen freundlichen Herrn mit grauen Haaren und Vollbart, der viel reist, verhandelt und telefoniert, der seinem Mitarbeiterstab klare Ansagen erteilt, der Interviews gibt und noch beim Kaffeekochen am heimischen Herd das Laptop aufklappt. Er strahlt eine natürliche Autorität aus, nicht nur in schwarzer Robe vor Gericht. „Er hat den Stummen eine Stimme gegeben“, schwärmt der Hollywoodstar Angelina Jolie zu Beginn. Und die Schauspielerin, die sich für ehemalige Kindersoldaten engagiert, ist später tatsächlich als Gast in Ocampos Büro zu sehen, am Tag der letzten Anhörung im Prozess gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga. Jolies Promiglanz nehmen die Autoren gerne mit.

Die Politik bleibt ein unverständliches Hintergrundrauschen

Der Lubanga-Prozess ist so etwas wie die Klammer in dem Film, und die entsetzlichen Bilder aus dem Kongo, von Kindern, die vor laufender Kamera erschossen oder misshandelt werden, Bilder von brennenden Hütten und herumliegenden Leichen, aus denen ein Geier Stücke herausreißt, lassen keinen Zweifel an der Notwendigkeit einer internationalen Strafverfolgung. Diese offen gezeigte Brutalität stößt allerdings auch ab, weil die Opfer namenlos bleiben und weil über den Konflikt im Kongo nichts erzählt wird. Auch Details und Hintergründe des Prozesses gegen Lubanga, der am Ende zu 14 Jahren Haft verurteilt wird, bleiben unklar. Wer hat ihn nach Den Haag überstellt? Wie konnten Beweismittel gesichert, Zeugen gefunden werden? Wer hat die Filme mit den furchtbaren Szenen gedreht und zu welchem Zweck? Erklärt wird von den Autoren aus dem Off nichts, das ist sowohl die Stärke als auch die Schwäche des Films. Es gibt ausdrucksstarke Momente, aber kaum Zusammenhänge. Ocampo macht der palästinensischen Delegation, die Israel wegen der Luftangriffe auf den Gazastreifen vors ICC bringen will, keine Hoffnung. Er könne ein Mandat nur von einem anerkannten Staat annehmen, argumentiert er. Aber warum erteilt er dann keine klare Absage? Die Politik bleibt ein unverständliches Hintergrundrauschen.

Neben Jolie gibt es noch einen prominenten Gast: den 92-jährigen Benjamin Ferencz. Der US-Jurist war schon Chefankläger beim Einsatzgruppen-Prozess in Nürnberg 1948, und auch im Lubanga-Prozess ergreift er am Schlusstag noch einmal das Wort. Die historische Linie ist klar und auch, dass es noch ein weiter Weg ist hin zu einer Art Weltgericht für Völkermörder und Kriegsverbrecher. „In 20 Jahren wird jeder dem ICC unterstellt sein. Es wird normal sein“, behauptet Ocampo. Woher er diesen Optimismus nimmt, bleibt rätselhaft.

Sendetermine Arte zeigt den Film am 2. Juli um 22.55 Uhr; in der ARD läuft er am 9. Juli um 22.45 Uhr.