„Die Anfängerin“ ist ein ausgezeichnetes Drama mit Ulrike Krumbiegel als Frau um die sechzig, die sich ihren Kindheitstraum vom Eislaufen erfüllt.

Stuttgart - Eine Frau um die sechzig, die einen Neuanfang wagt: Wenn das keine Geschichte ist, die perfekt zum ZDF passt, schließlich ist die Hauptfigur mit dem etwas komplizierten Vornamen Annebärbel („in einem Wort“) exakt so alt wie die Durchschnittszuschauer des Zweiten. Umso seltsamer, dass der Sender den Film erst um 23.15 Uhr ausstrahlt. Sehenswert ist „Die Anfängerin“ ohnehin, doch die Handlung vermittelt zudem eine enorme Zuversicht. Die unausgesprochene Botschaft – „Man ist nie zu alt für einen Neuanfang“ – mag schlicht klingen, aber Alexandra Sell (Buch und Regie) hat sie clever verpackt.

 

Ausgesprochen mutig ist dagegen der Entwurf der Hauptfigur, denn die innerlich wie äußerlich versteinerte Annebärbel (Ulrike Krumbiegel) wird auf denkbar unsympathische Weise eingeführt. Sell reiht zunächst verschiedene Szenen aneinander. Sie stellen die Hausärztin als arrogante und unhöfliche Person vor, die gegenüber ihren Patienten keine Empathie zeigt. Dass der Gatte (Rainer Bock) sie verlässt, weckt nicht Mitgefühl, sondern allenfalls Verständnis für den Ehemann. Die Bilder sind unbunt, als sollten sie signalisieren, wie farblos Annebärbels Leben ist, so dass die muntere Musik wie ein Kontrapunkt wirkt.

Lakonisch konfrontiert die Regisseurin ihre Antiheldin mit deren Traum. Der Prolog zeigt ein sechsjähriges Mädchen beim Eiskunstlauf. 52 Jahre später tauchen die Erinnerungen wieder auf, als Annebärbel in die Nähe des Sportforums in Berlin-Hohenschönhausen gerufen wird.

Märchenhafte Züge

Die Ärztin wird Mitglied im Eislaufverein und Teil einer Seniorengruppe, die für ein Schaulaufen trainiert. Ihre Überheblichkeit hat prompt zur Folge, dass die anderen sie auslachen, als sie ihre ersten unbeholfenen Schritte auf dem Eis macht und hinfällt; aber Annebärbel kämpft sich durch, trotzt den Giftpfeilen der garstigen Gertrud (Tatja Seibt), wird schließlich ehrenvoll in die Gruppe aufgenommen und nach drei Monaten Training mit einem umjubelten Auftritt belohnt.

Auch wenn die Geschichte an das Drama „Die Frau, die sich traut“ (mit Steffi Kühnert als krebskranke Ärmelkanalschwimmerin) erinnert und ähnlich märchenhafte Züge trägt: Die Regisseurin Sell hat klugerweise darauf verzichtet, die Hauptfigur zu überhöhen.

Natürlich durchläuft Annebärbel eine gewisse Läuterung, aber sie wandelt sich nicht zur strahlenden Sympathieträgerin. Der teilweise Sinneswandel ist ebenfalls klug eingefädelt: Annebärbel freundet sich mit einem Mädchen an, das beim Training für die Berliner Jugendmeisterschaften einen Rückschlag erlebt. Die junge Maria Rogozina macht ihre Sache nicht nur auf dem Eis, sondern auch bei den Dialogen richtig gut, während Franziska Weisz die Trainerin etwas zu einseitig als schwarze Pädagogin spielt.

Wiedersehen mit Christine Errath

Ihrer Heldin räumt Sell mildernde Umstände ein, denn die Frau ist mit einer Mutter geschlagen, die im Krimi als Erklärung herhalten könnte, warum ein Kind zum Serienmörder wird; Annekathrin Bürger, eine der großen Schauspielerinnen des Defa-Kinos und fast vierzig Jahre Mitglied des Ensembles der Berliner Volksbühne, verkörpert die Frau als Prototyp aller grausamen Filmmütter.

Gerade in Ostdeutschland werden sich die Zuschauer aber vor allem über ein Wiedersehen mit Christine Errath freuen. Die Ostberliner Weltmeisterin von 1974 und Europameisterin der Jahr 1973 bis 1975 musste ihre glanzvolle Karriere schon mit 19 Jahren beenden. Sell macht die Ikone des Eiskunstlaufs der DDR zum Stargast des Films und verknüpft ihre Biografie auf verblüffende Weise mit dem Leben der Hauptfigur.

Weil es ihr außerdem gelungen ist, Errath zur Rückkehr aufs Eis zu überreden, kommt es zu einem Comeback im Sportforum, dem der Film seinen ersten Höhepunkt verdankt. Den zweiten Höhepunkt gönnt die Regisseurin Annebärbel, und erneut zeigt sich, mit wie viel Feingefühl sie das Drehbuch geschrieben hat: Der misslungene Auftakt der Kür weckt umgehend Erinnerungen, aber diesmal entwickeln sich die Dinge anders.

Zu den Bildern erklingt das Lied „Frei“ von Reinhard Mey. Die Szene ist trotz entsprechender Textzeilen und einer ersten menschlichen Regung der finsteren Mutter kein bisschen kitschig; ein weiteres Qualitätsmerkmal dieses guten Films, den das ZDF bedenkenlos an einem Montag um 20.15 Uhr hätte zeigen können. Das ZDF zeigt den Film aber an diesem Mittwoch um 23.15 Uhr.