Die Vorsitzenden der Bundestagsparteien haben vor der Europawahl tatsächlich über europäische Themen miteinander diskutiert. Am Ende finden sie ein Wort, womit sie Europa am besten zusammenfassen können.

Berlin - Es ist eine doppelte Premiere gewesen: Erstmals haben die Vorsitzenden aller im Bundestag vertretenen Parteien mit einer gemeinsamen Fernsehdebatte vor der Europawahl dokumentiert, dass sie diese wirklich für so wichtig halten, wie sie immer sagen. Und in dieser Konstellation sind Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), Markus Söder (CSU), Andrea Nahles (SPD), Jörg Meuthen (AfD), Christian Lindner (FDP), Bernd Riexinger (Linke) und Annalena Baerbock (Grüne) ohnehin noch nie aufeinander getroffen. Die Erstauflage war informativ und unterhaltsam – anfangs geprägt von den aktuellen Entwicklungen in Österreich.

 

Krise in Österreich war ein Thema

Als „innerösterreichisches Ereignis“ versucht AfD-Chef Meuthen den Korruptionsskandal mit seinen auf Video dokumentierten „inakzeptablen Verhaltensweisen“ zu werten, der den Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ mittlerweile zum Rücktritt gezwungen hat. Das freilich wollte Meuthen, der als Einziger in der Runde für das Europaparlament kandidiert, das seine Partei zugleich abschaffen will, nur schlecht gelingen – dazu sind die Vorgänge zu grotesk. Für die Christdemokratin Kramp-Karrenbauer beweisen sie, „was in den Rechtspopulisten in ganz Europa steckt“, mit ihr werde es keine Zusammenarbeit mit Nationalisten geben. Die Sozialdemokratin Nahles hofft bei den Europawahlen auf einen „Denkzettel“ nicht nur für die Nationalisten, sondern auch für die Konservativen, die in Gestalt des Wiener Bundeskanzlers Sebastian Kurz Leute wie Strache erst salonfähig gemacht hätten. Nahles vergaß nicht den Hinweis, dass Kurz zeitgleich zur Sendung mit dem CDU/CSU-Spitzenkandidaten Manfred Weber einen Wahlkampfauftritt absolvierte.

Nahles will europäischen Sozialfonds

Es blieb nicht die einzige Meinungsverschiedenheit, die die Vertreter der Regierungskoalition am Montagabend im ARD-Hauptstadtstudio auf offener Bühne austrugen. Erfreulich war, dass dabei nicht die innenpolitischen, sondern tatsächlich europapolitische Konfliktlinien zum Vorschein kamen. So warb Nahles für einen europäischen Sozialfonds, der in guten Zeiten angespart und EU-Staaten in der Krise als rückzahlbare Kredite zur Verfügung gestellt wird – CSU-Chef Söder sagte, das höre sich in der Theorie gut an, funktioniere in der Praxis aber nicht. Bei europäischen Mindestlöhnen – in allen Ländern, aber in unterschiedlicher, nach Wirtschaftskraft gestaffelter Höhe – herrschte dagegen erstaunlich viel großkoalitionäre Einigkeit.

Lindner will europäische Arbeitsagentur

Nur der Liberale Lindner wollte dazu keinerlei europäische Gesetzgebung sehen. Seine Vorstellung für ein soziales Europa sieht so aus, dass eine europäische Arbeitsagentur ins Leben gerufen wird oder wenigsten die nationalen Behörden besser zusammenarbeiten und Stellenangebote und Jobsuchende europaweit zusammenbringen: „Das ist viel leichter als Einwanderung von außerhalb Europas zu organisieren.“ Linken-Chef Riexinger forderte Investitionsprogramme für Bildung und die öffentliche Daseinsvorsorge: „Die bisherigen Konzepte haben nicht funktioniert.“

AfD leugnet menschliche Ursache beim Klimawandel

Der aktuell heiß diskutierte Kampf gegen die Erderwärmung brachte inhaltlich wenig Neues, aber der Grünen Baerbock die Gelegenheit Lindner vorzuwerfen, sich vom Pariser Klimaabkommen und den darin festgelegten CO2-Reduktionszielen für alle Sektoren zu distanzieren - der FDP-Chef hatte zuvor Nahles für die Ankündigung solcher Sektorziele scharf kritisiert („Das hört sich für mich beängstigend an“) und statt Verboten „Erfindergeist“ gefordert. Meuthen sah erst gar keinen Handlungsbedarf, weil angeblich noch gar nicht sicher sei, ob der Klimawandel von Menschen gemacht sei.

Auch Flüchtlinge werden diskutiert

Die schärfsten Auseinandersetzungen produzierte der Themenblock zur Flüchtlingspolitik. „Wir brauchen eine Festung Europa“, forderte Meuthen, Riexinger dagegen sagte, er sei stolz auf seine „Partei, die es nicht erträgt, wenn Menschen im Mittelmeer sterben“. Einig war sich der Linke Lindner ausgerechnet mit dem Liberalen Lindner in der Kritik an der europäischen Handelspolitik, die Fluchtursachen beispielsweise in Afrika produziere. „Europa blamiert sich“, stellte Nahles fest, weil es der EU noch immer nicht gelungen sei, ein einheitliches Asylsystem und einen Mechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen zu schaffen. Auch CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer räumte ein, dass die Kompromisssuche bisher erfolglos gewesen und eine Priorität nach der Europawahl sein müsse.

Baerbock ist gegen Abschottung

Die Hilflosigkeit der Regierungsparteien in dieser Frage nutzte Baerbock für ihren stärksten Auftritt. Statt nur auf Abschottung und eine große Grenzschutzpolizei zu setzen brauche es „wieder ein ziviles Seenotrettungsprogramm von staatlicher Seite“. Die Grünen-Vorsitzende trat dem verbreiteten Eindruck entgegen, dass die EU-Institutionen in der Asylpolitik nichts unternehmen, und erinnerte daran, dass im Europaparlament ein mehrheitsfähiges Konzept vorliegt, das jedoch von den Regierungen nicht unterstützt worden sei. Die Bundesregierung hätte auch mehr Flüchtlinge aus Libyen aufnehmen können, wo in den Lagern laut Baerbock „KZ-ähnliche Zustände“ herrschten. Das produzierte Kramp-Karrenbauers einzigen verärgerten Konter des Abends: „Wir könnten mehr Menschen aufnehmen, wenn die Grünen im Bundesrat gegen die Ausweisung von mehr sicheren Herkunftsländern aufgeben und Rückführungen vereinfachen würden.“

Ein Wort für Europa

Der Diskussionsabend endete ähnlich kontrovers, als die sieben Vorsitzenden ihr Verständnis von Europa in einem Satz zusammenfassen sollten – da war die EU dann wahlweise ein „Zweckbündnis“ (Meuthen) , ein „Wunder“ (Kramp-Karrenbauer) oder „der beste Ort, an dem man auf diesem Planeten leben kann“ (Nahles).