Das TV-Millionenpublikum sieht einen SPD-Herausforderer, der der Kanzlerin hier und da einen Stich versetzt. Merkel bleibt sich treu: Die CDU-Chefin argumentiert ruhig und wehrt sich gegen zugespitzte Positionen.

Berlin - Alle vier Jahre wieder treffen sie sich in dieser fast schon surrealen Umgebung inmitten eines Hightech-Areals am Stadtrand Berlins. Kronleuchter hängen in Adlershof von den Decken der Studiohalle, deren Freifläche von schwarzen Vorhängen wie von einem schalldämpfenden Riesenmantel umgeben ist. Chillige Lounge-Musik, kleine Happen werden gereicht, das Roastbeef mit Bratkartoffelcreme ist besonders zu empfehlen, das alles mit freundlicher Unterstützung diverser Produzenten von koffeinhaltiger Brause, Kräuterschnaps, der Initiative deutscher Gin und anderen Titanen der deutschen Getränkeindustrie. Vorn auf dem Podium befragen Journalisten der Fernsehsender ARD, ZDF, RTL und Sat1 hochmögende Studiogäste zum Verlauf des TV-Duells, auf großen Bildschirmen wird übertragen, wie Kanzlerin Angela Merkel und ihr Herausforderer Martin Schulz rhetorisch die Klingen kreuzen. Wobei dieses martialische Bild angesichts der uckermärkischen Bedächtigkeit der Kanzlerin vielleicht denn doch eine Spur übertrieben scheint.

 

Es ist ein Ritual geworden, durchgetaktet und ausverhandelt bis ins Detail, wie der Start einer Mondmission. Draußen stehen die Claqueure, die Stoßtrupps der Jungen Union haben sich mächtig breit gemacht auf dem Zufahrtsweg zum Studio. „Hochmuttiviert“ sind sie, ausweislich ihres T-Shirt-Aufdrucks. Zahlenmäßig können da die Jusos nicht ganz mithalten. Dafür war die SPD bei der Bewertung des Duells an Hellsicht nicht zu schlagen. Schon Stunden vor Beginn des Duells poppte zwischenzeitlich bei Google eine Anzeige auf, in der Schulz schon zum klaren Sieger des Duells erklärt wird – ein peinliches Versehen, für das die SPD-Spitze sich entschuldigte.

Die hellblaue Krawatte passt zum Blazer

Die hellblaue Krawatte des Herausforderers passt ganz gut zum Blazer der Kanzlerin. Und auch sonst geht es zunächst bei diesem Duell recht zivilisiert zu. Schulz weiß, dass Merkel bis tief ins eigene Milieu hinein Sympathien weckt. Und dann muss Schulz ja auch bedenken, dass die SPD mitregiert. Immer wieder erinnert Merkel daran. So auch, als Schulz einen zarten Versuch unternimmt, die Flüchtlingspolitik Merkels zu kritisieren, weil diese die europäischen Partner nicht im Herbst 2015 eingebunden habe. Sicher, sie habe damals Fehler gemacht, nicht genau genug beobachtet, was sich da in den Flüchtlingslagern Jordaniens, dem Libanon, der Türkei abgespielt habe, das gelte „für mich aber auch für die jeweiligen Bundesaußenminister“.

Schulz versucht ruhig und entschlossen zu wirken, so auch, als er über die „total anständigen Menschen“ islamischen Glaubens spricht, die in Würselen in seiner Nachbarschaft lebten. Er fordere Härte gegenüber islamistischen Fanatikern und Hasspredigern, keine Frage, aber keine pauschale Diffamierung. Apropos Hassprediger: den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan knöpft er sich sofort vor, weil er die Menschen aufwiegle und deutsche Staatsbürger ohne triftigen Grund festsetze. Beifall brandet auf unter seinem Anhang im Studio nebenan, als verspricht: „Wir werden die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union abbrechen.“

Beim Thema Erdogan wirkt Merkel irritiert

Merkel wirkt da irritiert, ja, verärgert, sie habe noch am Freitag mit Außenminister Sigmar Gabriel anderes besprochen, wolle in dieser Frage eigentlich „keinen Streit in der Regierung“, weil dadurch kein einziger der 12 inhaftierten Deutschen in der Türkei frei käme. Dennoch zieht Merkel nach. „Die Türkei entfernt sich in einem atemberaubenden Tempo von allen demokratischen Gepflogenheiten“, sagt sie, da helfe nur „wirtschaftlicher Druck“. Für einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen brauche sie die Zustimmung des Europäischen Rats und „nichts wäre schlimmer, als wenn wir sagen, wir wollen die Beitrittsverhandlungen beenden und dann haben wir keine Mehrheit dafür.“ Man müsse stattdessen „stärkere Reisewarnungen“ ausrufen: „Das prüfen wir im Moment.“

Der Streit über den Umgang mit Erdogan steht exemplarisch für die Strategie des Herausforderers. Schulz verspricht, als Kanzler da eine ganz klare Position zu beziehen, wisse zwar nicht, ob er für den Abbruch der Beitrittsverhandlungen, die er lange befürwortet hatte, eine Mehrheit bekomme, werde aber dafür kämpfen. Was da in der Türkei ablaufe, sei schlicht und ergreifend „ein Gegenputsch“. Merkel wittert die Gefahr, also geht sie schließlich doch den Schritt, den sie eigentlich nicht gehen wollte. Sie werde im Europäischen Rat „nochmal drüber reden, ob die Beitrittsverhandlungen beendet werden können.“ Sie wirkt für einen Moment getrieben.

Schulz will plakativer sprechen

Ähnliches wiederholt sich bei anderen Themen, beim Umgang mit US-Präsident Donald Trump ebenso wie bei der Rente. Stets versucht Schulz, plakativer zu sprechen, verständlicher, weniger technokratisch, auch wenn inhaltlich bei Lichte betrachtet oft kaum Unterschiede bleiben und keiner glauben muss, dass ihr beispielsweise Trump sympathischer sei als Schulz. Vor allem bei der Rente wagt Schulz den Versuch, Merkel abermals auch in der Sache zu stellen. Die Union propagiere nun die Rente mit 70, so Schulz. Dies, so Merkel, sei „schlicht und ergreifend falsch“, es habe nichts zu bedeuten, „wenn irgendeine Untergruppe, oder irgendein Flügel“ sowas fordere. Worauf Schulz: Die Kanzlerin „bezieht eine Position, finde ich ganz toll.“ Allerdings habe das nicht irgendeine Untergruppe sondern der Wirtschaftsrat und Präsidiumsmitglied Jens Spahn gefordert. Aber wenn nun Merkel verspreche, dass die Rente mit 70 nicht komme, umso besser. Wie vergiftet dieses Lob ist, zeigt sich im Anhang: „Beim letzten Duell war’s die Maut, die auf keinem Fall kommt, dieses Mal ist es die Rente mit 70.“ Ein Angriff auf Merkels Glaubwürdigkeit ist das, den Merkel nur schwer parieren kann.

Sollte Merkel gehofft haben, mit den wirtschaftlichen Interessen ihres russlandaffinen Vorgängers Gerhard Schröder punkten zu können, so fällt ihr Ertrag hier eher gering aus. Denn Schulz bezeichnet dessen Engagement beim Energieversorger Rosneft als „schlecht“. Als Merkel nachhakt, kontert Schulz mit der Bemerkung, es gehe „bei dieser Wahl um die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, nicht um die Zukunft von Gerhard Schröder.“

Und dann noch das Schlusswort

Dann, das Schlusswort. Schulz fragt nach, wie lange er dafür Zeit habe. Er weiß natürlich, dass es 60 Sekunden sind, aber er braucht die Antwort für seinen Einstieg. In 60 Sekunden, sagt er, verdiene „eine Krankenschwester weniger als 40 Cent“, kein Vergleich zum Verdienst der Manager. Gefühlig wirkt er, von Aufbruch in einem geeinten Europa spricht, dafür habe er sein ganzes Leben gekämpft. Merkel setzt auf die Autorität des Amtes, ihre enorme Erfahrung. Sie wolle mit einer „Mischung aus Erfahrung und der Neugier auf das Neue“ dieses Land regieren. Dann wünscht sie allen Zuschauern noch „einen schönen Abend.“ Die haben jetzt die Wahl.