Das Qualitätsfernsehen feiert 30. Geburtstag. Dabei hat es Ingmar Bergman eigentlich schon 1973 mit der schwedischen Serie „Szenen einer Ehe“ erfunden. Daran erinnert das US-Drama „Scenes from a Marriage“, das nun bei Sky startet.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Das Goldene Zeitalter der Fernsehserien begann in Deutschland vor 30 Jahren. Am 10. September 1991 strahlte RTL die erste Episode von David Lynchs Serie „Twin Peaks“ aus. Diese machte einen Genremix sendefähig, der Drama, Mystery, Krimi und Soap Opera vermengt und bis heute Vorbild für Serienerzählungen des Qualitätsfernsehens ist. Zusammen mit seinem Co-Autor Mark Frost etablierte Lynch eine neue TV-Ästhetik, konfrontierte die Zuschauer mit langen, verworrenen Erzählsträngen und vielschichtigen Charakteren. Ohne die Vorarbeit, die „Twin Peaks“ geleistet hat, wären Serien wie „The Wire“, „Breaking Bad“ oder „Game of Thrones“ kaum denkbar.

 

Das Zeitalter der Autorenserien

Doch hat David Lynch wirklich das Qualitätsfernsehen erfunden? Wurde den TV-Zuschauern vor „Twin Peaks“ tatsächlich nur Ramsch, Kitsch und Trash in Serie vorgesetzt? Nein, natürlich nicht – schließlich gab es schon vorher hochwertige US-Seriendramen wie „Hill Street Blues“ oder „Miami Vice“. Doch das waren Ausnahmen. Mit „Twin Peaks“ beginnt dagegen das Zeitalter der Autorenserien im US-Fernsehen. Lynch und Frost sind die ersten, die konsequent das Modell des europäischen Autorenfilms auf die Serienproduktion anwenden und so das Prinzip des Showrunners vorwegnehmen.

Fassbinder, Reitz, Bergman

Autorenfilmer in Europa hatten schon lange vor Lynch erfolgreich versucht, das Fernsehen für ihre Art des Erzählens zu nutzen: Werner Fassbinder zum Beispiel, der mit „Berlin Alexanderplatz“ (1980) das episodische, collagenartige Erzählen Alfred Döblin in der Romanvorlage in 14 Episoden filmisch nachbildete und auch aufgrund seiner düsteren Ästhetik die damaligen TV-Zuschauer verunsicherte. Oder Edgar Reitz, der 1984 mit „Heimat – Eine deutsche Chronik“ ein epochales Erzählprojekt von unerhörter narrativer Tiefe verwirklichte.

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Der erste Autorenfilmer, der die Möglichkeiten des seriellen Erzählen auslotete, war aber Ingmar Bergman. 1973 inszenierte er für das schwedische Fernsehen das sechs Episoden umfassende Seriendrama „Scener ur ett äktenskap – Szenen einer Ehe“. In so einer Tiefe und Ausführlichkeit hatte niemand zuvor gewagt, Fernsehen zu machen. Liv Ullmann und Erland Josephson spielen darin Marianna und Johan, deren Ehe – kurz nachdem ein Magazin sie als Vorzeigepaar porträtiert hat – scheinbar unaufhaltsam zu zerbrechen beginnt. „Szenen einer Ehe“ ist eine Diskursserie, die die gesellschaftspolitische Dimension des Privaten erforscht. Insgesamt fünf Stunden lang wird geredet, diskutiert, gestritten, verhandelt, philosophiert, polemisiert – und letztlich wird nicht nur die Liebe der beiden, sondern letztlich die Ehe als Institution dekonstruiert.

Dialoge statt Handlung

Und dass diese Art des Erzählens auch fünfzig Jahre später verstörend wirkt, beweist der US-Fünfteiler „Scenes from a Marriage“, der jetzt bei Sky startet und der auf Bergmans Serienklassiker basiert. Oscar Isaac und Jessica Chastain spielen ein Paar, das seit zehn Jahren verheiratet ist, das als Musterbeispiel für monogame Beziehungen im 21. Jahrhundert herhalten soll, deren Ehe aber alles andere als perfekt ist.

Wie Bergmans Vorlage wird das Drama ausschließlich in Dialogen verhandelt. Die erste der fünf einstündigen Episoden kommt mit vier Szenen aus: Das Paar unterhält sich im Wohnzimmer, im Esszimmer, im Schlafzimmer und in einer Arztpraxis. Mal stellt eine Wissenschaftlerin zwischendurch ein paar Fragen, mal reden zwei Freunde mit. Es passiert nichts, und gleichzeitig passiert ungeheuerlich viel. Und das ist auch im Jahr 2021 immer noch eine Seriensensation.

Scenes from a Marriage. Die fünfteilige Miniserie startet parallel zum US-Start in der Nacht vom 12. auf den 13. September in der Originalfassung bei Sky. Die Ausstrahlung der synchronisierten Fassung erfolgt ab 19. November.