Arte widmet dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zwei lehrreiche Themenabende. Die könnten manchem vielleicht verständlicher machen, warum all das auch noch die Jüngeren angeht.

Stuttgart - Es schien mal so einfach zu sein: Dem Verdrängen durch einen Teil der Kriegsgeneration, der sich an einem Massenmord nicht mitschuldig fühlen wollte, würden Zeitzeugen, Dokumente, Aufzeichnungen, Fotos, Filme und die Literatur entgegenstehen. So würde der Holocaust grundlegendes Geschichtswissen der Deutschen werden. Aus dem großen Zivilisationsbruch würde der unverbrüchliche Wille zur Humanität hervorgehen, aus der Entmenschlichung der Schwur auf den Rechtsstaat, aus den Lügen der Mörder die Verpflichtung zur Erinnerung an die Opfer und die Wahrheit. Mittlerweile lässt einen der Blick in die sozialen Netzwerke zweifeln, wie es um Geschichtswissen und Erschütterbarkeit mancher Mitbürger steht.

 

Darum ist es gut und richtig, dass es zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 nicht bei ein paar Gedenkstunden bleibt. Arte zum Beispiel widmet dem Ereignis gleich zwei Themenabende, einen am 27. Januar und einen bereits an diesem Dienstag. Da gibt es auch gleich einen Dokumentarfilm, „Medizinversuche in Auschwitz“ (21. Januar, 21.50 Uhr), den man all jenen vorgeführt wünscht, die mit dem idiotischsten aller Argumente ihre Ignoranz begründen – mit dem Auftrumpfen: „Was hat das denn alles mit mir zu tun? Ich war da noch gar nicht geboren.“

Horrorforschungen

Die Möglichkeit komfortabler, sicherer Geburtenkontrolle hat große gesellschaftliche Veränderungen gebracht. Viele Nachgeborene halten die Pille für eine Mischung aus klarem Menschenrecht und selbstverständlichem Naturgut. Die Filmemacherinnen Sonya Winterberg und Sylvia Nagel gehen dem Wirken des Gynäkologen Carl Clauberg nach, dessen Forschungsergebnisse auch in die Entwicklung der Antibabypille einflossen.

Aber Clauberg hat seine Untersuchungen als Gruppenführer der SS in Auschwitz-Birkenau angestellt, er hat wehrlose Menschen gegen ihren Willen sterilisiert, verkrüppelt und ermordet. Schon Clauberg müsste genügen, um als grausiger Erblasser klarzumachen, dass wir nicht Teile der Geschichte als Erbe akzeptieren und andere zurückweisen können. Wir stehen in der Pflicht gegenüber allem.

Die Entwurzelten

In der Pflicht sahen sich die Alliierten nach 1945 gegenüber elf Millionen Menschen, die von Krieg und Verschleppungspolitik entwurzelt worden waren. Diese DPs (displaced Persons) brachte man oft in jenen Lagern unter, aus denen man sie gerade befreit hatte. Der Dokumentarfilm „Die Kinder von Markt Indersdorf“ (21. Januar, 22.40 Uhr) von Théo Ivanez erzählt von einem besseren Ansatz, von einem bayerischen Kloster, das zum Auffanglager für Kinder wurde. Hochbetagte Überlebende erzählen von einst und von ihrem Leben danach, und Dokumente lassen ahnen, wie ratlos die Helfer vor den Traumata der Kinder gewesen sein müssen. Das ist berührend und beklemmend, und wie bei all diesen Dokumentationen legen die Zeitzeugen etwas in unsere Hände, das wir bewahren sollen.

Ausstrahlung: Arte, Dienstag, 21. Januar 2020 ab 20.15 Uhr; weitere Sendungen zum Thema am 27. Januar.

Der Dokumentarfilm„Die Kinder von Markt Indersdorf“ ist bereits in der Mediathek und im Youtube-Channel von Arte zu sehen.