In der ZDF-Problemkomödie „Das Unwort“ mit Iris Berben und Devid Striesow tagt eine Schulkonferenz. Die Aufarbeitung einer Prügelei wird heikel: Jüdische Schüler wurden gemobbt.

Stuttgart - Es hat gekracht, aber so richtig. Auf dem Flur eines Berliner Gymnasiums haben sich Schüler geprügelt. Einem wurde die Nase gebrochen, einem anderen ein Stück vom Ohrläppchen abgebissen. Mit Nachsitzen ist es da nicht getan, eine Krisenkonferenz muss tagen. Eingeladen, vielleicht auch vorgeladen zu einem Abend mit Frau Dr. Nüssen-Winkelmann (Iris Berben) von der Schulaufsichtsbehörde sind die Eltern der Beteiligten, der Schuldirektor Stege (Devid Striesow), die Deutschlehrerin Frau Ritter (Anna Brüggemann), die Vertrauenslehrer und der Hausmeister (Florian Martens).

 

Als Aussitzen nicht mehr ging

Nicht alle erscheinen, denn der Abend ist heikel. Zugeschlagen und zugebissen hat ein jüdischer Neuntklässler, die Lädierten sind muslimische Mitschüler. Deren Eltern sind nicht da, wohl aber die von Max Berlinger (Samuel Benito), der vorläufig vom Unterricht ausgeschlossen wurde.

Die Berlingers (Ursina Lardi und Thomas Sarbacher) verteidigen ihren Sohn vehement: Max werde beständig provoziert, weil er Jude sei. Erst im Lauf des Abends werden sie erfahren, wie heftig die Übergriffe waren, wie feige Lehrer weggeschaut haben und wie falsch die Schulleitung reagiert hat, als Aussitzen gar nicht mehr ging. Man hat eine Liste jüdischer Schüler erstellt und die so Identifizierten in den Pausen in den Chemieraum verbannt, damit ihnen auf dem Schulhof nichts passiert. All diese Vorgänge werden in Rückblenden lebendig.

Klugtun und Dummstellen

Leo Khasins Film „Das Unwort“ führt also mitten hinein in eine der immer wieder ausgeblendeten Problemzonen unserer Gesellschaft: in den neuen Antisemitismus, der sich gerade auch bei Jüngeren findet. Überraschenderweise aber ist „Das Unwort“ kein wütend anschnaubender Rammbock und kein verkrampfter Bestandsaufnahmeversuch, sondern eine Komödie. Passagenweise sehen wir, wie sich mit Frechheit, Heiterkeit und Spottlust echte Klarheit schaffen lässt.

Direktor Stege denkt nur an den guten Ruf der Schule beziehungsweise an mögliche Gefahren für sein eigenes Vorankommen auf der Karriereleiter. Er will alles auf die Pubertät herunterreden, auf kleine Aggressionen ohne ernsten Hintergrund. Manchmal gerät er beim Klugtun und Dummstellen ein wenig durcheinander. Er möchte eben ganz knallhart demonstrieren, dass er nie Antisemitismus zulassen würde, und zugleich wachsweich zurechtreden, dass es kein Antisemitismus sei, wenn man jüdischen Schülern hinknallt, es wäre besser, ihre Großeltern wären in Auschwitz umgekommen, dann säßen sie jetzt nicht hier.

Tanz auf der Schmierseife

Die Deutschlehrerin Frau Ritter ist da ganz anders. Also: schlimmer eigentlich. Ihr geht es nicht um irgendeine Wirkung nach außen, sondern um die eigenen Illusionen, um ihr Wohlfühlen in Verständnisseligkeit, ums Ausblenden von allem, was sie in ihrer Konfrontationsscheu überfordern würde. „Es wäre schön, wenn wir alle heute Abend auf Augenhöhe miteinander sprechen könnten“, fleht sie zu Beginn des Abends. Sie hat auch selbst gemachte Falafel und Gefilte Fisch mitgebracht und zerknirscht sich, auf welches Gericht sie das palästinensische Fähnchen stecken soll und auf welches das israelische.

Die Berlingers allerdings stellen klar: „Wir sind keine Israelis.“ Und Frau Dr. Nüssen-Winkelmann moniert unverfroren: „Das stinkt ja fürchterlich.“ Ja, hier will erst mal gar nichts klappen, hier beginnt ein Zappeltanz auf einer Schmierseife aus Borniertheit, vagen Schuldgefühlen, Wut, Hilflosigkeit, Ressentiments, Sentimentalitäten, Ängsten und Ansprüchen. Das Drehbuch erspart den Figuren wenig, nicht einmal, dass der Hausmeister, den die besseren Stände nur mit seinem Nachnamen anreden, ohne Herr davor, Eichmann heißt. Die Berlingers sind düpiert, der Direktor verwehrt sich gegen Diskriminierung von Deutschen. Nur Eichmann weiß nicht recht, worum es da geht, ist ansonsten aber um einiges geerdeter als die anderen. Er hat mit den Rüpelschülern schließlich jeden Tag zu tun und plaudert aus, was nicht in den Schulakten zum Fall steht, aber täglich auf den Fluren passiert.

Pure Utopie

In den besten Momenten weht ein wenig Loriot-Geist durch die Szenen, immer wieder bekommen die Dialoge einen etwas gestelzten Theaterton. Khasin will nicht nur herumspotten, er trägt schwer an seiner Verantwortung, und so geht auch einiges schief. Er verbiegt Figuren, weil er momentan eine bestimmte Haltung braucht. Mal keift Nüssen-Winkelmann unerwartet rassistisch herum, dann wieder kippt hochkochende Aggression in Vernunft. Die Versöhnung am Filmende ist pure Utopie. Aber gerade weil sich kaum jemand an dieses Thema herantraut, sollte man „Das Unwort“ erst mal für all das schätzen, was klappt.

Wie nötig Geschichten über jüdisches Leben in Deutschland sind, kann man im Anschluss an „Das Unwort“ sehen. In Jan Tenhavens Doku „Hey, ich bin Jude! – Jung. Jüdisch. Deutsch“ erzählen ab 21.40 Uhr Menschen von Alltagserfahrungen, von Verkrampftheit, die ihnen begegnet, aber auch von Attacken, von Angst, von den Momenten, wenn sie den Davidstern an der Halskette lieber unter der Kleidung verschwinden lassen. Wie „Das Unwort“ zeigt, Angst darf eine Gesellschaft nicht zulassen. Sie kann aber nicht nur mit guten Worten beschwichtigen. Sie muss konfliktbereit gegenüber denen sein, die Grundwerte nicht achten.

Ausstrahlung: ZDF, Montag, 9. November, 20.15 Uhr. Der Film ist bereits vorab und bis 1.11. 2021 auch in der ZDF-Mediathek zu sehen.