Der Dokumentarfilm„Backstreet Boys – 20 Jahre Boygroup“ auf Arte erzählt von Drill, Glück und Ausbeutung. Und zeigt gereifte Männer, die Musik machen wollen.

Stuttgart - Erst wurden Videospiele gezockt, danach vielleicht Tischfußball, die Plattensammlung des vermeintlich väterlichen Freundes wurde durchstöbert – und dann schaute der feiste Produzent Lou Pearlman mit seinen fünf menschlichen Goldeseln, deren jüngster gerade mal 14 Jahre alt war, Pornofilme. Es gruselt einen, wenn man im DokumentarfilmBackstreet Boys – 20 Jahre Boygroup“ die alten Fotos aus den neunziger Jahren sieht, auf denen der zwielichtige Unternehmer Pearlman mit den Kids posiert. Er wirkt wie ein zufriedener Kidnapper, dessen Opfer noch gar nicht begriffen haben, in welche Situation sie da geraten sind.

 

AJ Mclean, Howie Dorough, Nick Carter, Kevin Richardson und Brian Littrell geben als Erwachsene Einblick in das Schizophrene ihrer Erinnerungen und Empfindungen. Dass der „Big Poppa“ genannte Pearlman sie einst um Millionen geprellt hat, ist ihnen klar.

Band an Strippen

Zur Zeit des Filmdrehs saß Pearlman bereits ein. Trotz des vielen Geldes, das er mit mehreren Boygroups verdiente, hatte der 2016 in Haft Verstorbene mehr als 300 Millionen Dollar Anlegergeld veruntreut. Aber die Backstreet Boys wissen auch, dass sie ohne Pearlman nie zusammen gekommen wären.

Wer in den Neunzigern über den Boygroup-Sound hinaus war, hat die Backstreet Boys vielleicht als Albtraum des Pop in Erinnerung. Sie waren nicht die erste Retortenband, aber noch nie waren so offen vom Spekulantentisch aus die Strippen gezogen worden. Pearlman hatte sich in einer Casting-Aktion fünf Jungs zusammengesucht, die nun gedrillt wurden.

Als Musiker anerkannt werden

Im Rückblick sieht man, wie hart die Kids üben mussten, um das Image der lockeren Spaßtruppe zu vermitteln. Wie in der vor kurzem ebenfalls auf Arte laufenden Dokumentation über Tokio Hotel ist die Innensicht der heftige Liebes- und Hassreaktionen hervorrufenden Teenie-Phase einer Band nicht der einzige Vorzug des 2015 veröffentlichten Films. Auch hier sehen wir Ältergewordene, die den Kitzel des Berühmtseins und die Not des Verdienens hinter sich haben, die sich nun als Musiker beweisen möchten.

Man kann dies alles als Auftragsarbeit der Band deuten. Der Regisseur Stephen Kijak zeigt auch grundlegendes Wohlwollen. Die späteren Vorwürfe gegen Carter, er habe 2003 eine junge Frau vergewaltigt, können hier noch gar keine Rolle spielen. Aber der Film wirkt in sich stimmig, nicht süßlich verklärt. Hier kämpfen Ex-Boygroup-Stars gegen das Image, nur Plastikpop-Figürchen zu sein.

Ausstrahlung: Arte,
17.August 2018, 22.50; danach bis 24. August in der Mediathek