Ein neuer Nachbar kauft sich im Ländlichen bei Donzdorf ein und pfeift auf Traditionen: Ein unerbittlicher Grenzstreit bricht los. Der Dokumentarfilm „Halbe Hütte“ im SWR schildert aus Betroffenenperspektive einen sehr modernen Konflikt. Der Filmemacher Andreas Geiger selbst ist Streitpartei.

Stuttgart - Schwabenland ist Hüttenland, erklärt der Filmemacher Andreas Geiger. Auch um seinen Heimatort Donzdorf herum stehen auf vielen Wiesen noch jene Arbeitsschuppen, die einst zum Kleinbauernleben gehörten. Geigers Vater hat ihm ein Wiesenstück übergeben, auf dem sich ganz oben am Waldrand ein Schuppen aus Großvaters Zeiten, Baujahr 1937, gegen den Zahn der Zeit stemmt.

 

Aber Geigers sehr subjektiver, zwischen Schmunzeln und Seufzen aufgespannter Dokumentarfilm „Halbe Hütte“ wird kein Porträt gelebter Tradition, sondern das Protokoll einer Zeitenwende. Während Vater Geiger erwogen hat, den sogenannten Schinderwasen an den Sohn, Jahrgang 1969, zu übergeben, vollzog sich nebenan ein anderer Besitzerwechsel.

Privatwälder und Grenzüberschreitungen

Die Gemeinde Donzdorf hat zur Finanzierung einer Umgehungsstraße viele ihrer Liegenschaften verkauft, auch den Berg und den Wald, an dessen Fuß Geigers Wiese liegt. Schnell müssen da, wie an vielen Orten im Land, die privaten und die öffentlichen Interessen aufeinandergeprallt sein. Öfter mal erwerben Privatleute Areale, die von öffentlichen Wegen durchzogen sind. Die Wanderpfade empfinden sie als Störung, machen sie dicht, und wenn ihnen das untersagt wird, dann erwecken sie mit Schildern wie „Privat“ und „Warnung vor dem Hunde“ den Anschein, das Weitergehen sei verboten. Weil das die Wandererzahl erfolgreich minimiert, werden die doch noch Auftauchenden als besonders unverschämte Störer empfunden. Geiger führt dieses Phänomen bei einer Wanderung mit der Kamera einmal deutlich vor.

Vielleicht stimmt ja auch, was Geigers Vater erzählt, der neue Nachbar aber bestreitet: dass es ein Kaufangebot für Schinderwasen und Hütte gab. Weil die Geigers ihr Ererbtes aber nicht hergeben wollten, mag sich der zurückgewiesene Interessent gekränkt gefühlt haben. Jedenfalls nimmt der Film seinen Lauf mit einem barschen Schreiben: Der Nachbar fordert die Herausgabe seines Eigentums – gemeint ist die Hütte.

Prozesse, Beschwerden und Bedenken

Wie soll, was Jahrzehnte im Familienbesitz war, plötzlich einem anderen gehören? Zumindest diese Frage klärt sich schnell, als Landvermesserinnen anrücken. Andreas Geigers Großvater hat beim Bauen die Grenze überschritten. Zwei Drittel der Hütte standen immer schon im Gemeindewald, was jahrzehntelang niemandem störend auffiel.

Unaufhaltsam setzt sich die Konfliktmaschine in Bewegung: Prozess vorm Amtsgericht, Berufungsprozess vorm Landgericht, parallel dazu Beschwerden beim Baurechtsamt, Prüfungen, Bedenken, Auflagen. Geiger, der schon in „Heavy Metal auf dem Lande“ über das Donzdorfer Label Nuclear Blast und in „Wochenendkrieger“ über Rollenspieler das Bild von der bloß beengenden Provinz korrigierte, lässt die Einheimischen erzählen, wie sie so einen Konflikt gelöst hätten: durch freundliche Duldung oder einen komplikationslosen Flächentausch.

Michael Moore lässt grüßen

Nun geht das hier einen anderen Gang. Geiger bekommt große Verwerfungen der Moderne im Kleinen an den Wickel: den Kampf von Geld gegen Traditionen, Strukturen gegen Emotionen, auch die wachsende Rücksichtslosigkeit im Umgang der Begüterten mit den weniger Begüterten. Dass er sich dabei sehr am amerikanischen Dokumentarfilmer Michael Moore („Bowling for Columbine“) orientiert, viel selbst mit Mützchen auf dem Kopf vor die Kamera tritt, sich treuherzig naiv gibt, wo er in Wirklichkeit stichelt, kann man hie und da ein wenig übertrieben finden.

Aber Geiger ergeht es ja auch wie Moore öfter: Der Kritisierte weigert sich, vor der Kamera Stellung zu beziehen. Geiger muss den Film mit seiner subjektiven Sicht füllen. Das gelingt ihm sehr unterhaltsam, wobei die Bilder vom normalen Landleben noch schöner sind als die vom Hüttenstreit. Wie Geigers Vater mit einem betagten Traktor einen noch antikeren, halb ausgeschlachteten Trecker abzuschleppen versucht, erzählt viel über eine sowohl zwanghaft knickerige wie rührend nachhaltige Form des Schwabentums. In der hat das Alte einen Wert, den der neue Nachbar nie wird erfassen können.

Ausstrahlung: SWR, 15. August 2019, 22.45 Uhr. Bis 19. August 2018 ist der Film auch in der Arte-Mediathek zu sehen.