Der Torwart Johnannes Bitter, Weltmeister von 2007, spricht über den Titelgewinn der deutschen Handballer bei der Europameisterschaft und den Abstiegskampf in der Bundesliga mit seinem neuen Verein TVB Stuttgart.

Sport: Joachim Klumpp (ump)

Stuttgart – - Nach der Handball-EM hat der Alltag wieder begonnen – in der Bundesliga. Am Sonntag (17.15 Uhr/Scharrena) trifft der Neuling TVB Stuttgart in einem Schlüsselspiel gegen den Abstieg auf den Bergischen HC – erstmals mit Johannes Bitter im Stuttgarter Tor.

 
Herr Bitter, als Sie in Stuttgart vor drei Wochen offiziell vorgestellt worden sind, haben Sie gesagt, man dürfe von der Nationalmannschaft bei der EM nicht gleich eine Medaille erwarten. Nun ist es sogar die goldene geworden. Wie kam’s zu diesem Irrtum?
Da sieht man eben, dass ich keine Ahnung vom Handball habe. Ich weiß auch nicht, wie ich aus der Nummer rauskomme (lacht). Wenn mir heute jemand glaubhaft versichert, dass er das erwartet hat, dann würde ich ihn wahrscheinlich für verrückt erklären. Er war ein Riesenerfolg für den deutschen Handball, basierend auf einer unglaublichen Teamleistung, aus der immer wieder Einzelne herausgestochen haben. Was mir am meisten imponierte war der unglaubliche Wille, die Abwehr dicht zu halten und dann schnell nach vorne zu spielen. Es war sehr beeindruckend, wie alle zusammengearbeitet haben.
Auch die Torhüter. Wie lautet Ihre Expertenmeinung von Torwart zu Torwart: Haben Sie Andreas Wolff so eine Leistung zugetraut?
Dass er in seinen jungen Jahren schon herausragende Leistungen bringen kann, wussten wir alle. Aber alle haben auch damit gerechnet, dass Carsten Lichtlein viele Spielanteile bekommen wird. Dann sind die ersten Spiele nicht so gelaufen, Wolff kam rein und hat sich in einen Rausch gespielt. Jeder, der auf diesem Niveau Sport treibt, hat schon mal erlebt, wie das funktioniert: irgendwann denkt man nicht mehr nach, da ist man so drin in diesem Flow, und den muss man dann auch laufen lassen. Das ist bei ihm passiert. Er hat seine Leistung auf einem extrem hohen Niveau übers ganz Turnier kompensiert – und im Finale die entscheidenden Bälle gehalten.
Was muss denn besser werden, damit der Handball-Hype jetzt nachhaltiger wird als 2007 nach dem WM-Gewinn, an dem Sie noch beteiligt waren?
Ich kenne nicht alle Details, sondern sage einfach, wie ich das als Spieler sehe. Der DHB hat intern viel angestoßen in den vergangenen Jahren, und man sieht nun auch die Erfolge, weil viele Spieler aus dem Elitekader und den Förderzentren dabei sind. Aber wir müssen den Handball in der Gesellschaft mehr verankern. In den letzten zwei Wochen waren plötzlich Leute Handballfans, die sonst 350 Tage im Jahr gar nicht wissen, was Handball ist. Diesen Hype muss man immer sofort mitnehmen.
Und wie?
Es ist in der Bundesliga wichtig, dass man nicht sagt: Ich bin Wetzlar, ich bin Kiel, ich bin Flensburg. Sondern man muss – das hat mir mal ein Experte erklärt – sogenanntes Gattungsmarketing betreiben, den Handball also als Marke und Sport neu aufstellen und so in der öffentlichen Wahrnehmung auf ein anderes Niveau heben. Da sollte man mit absoluten Profis zusammenarbeiten, die das in anderen Bereichen auch schaffen.
Sie sind jetzt drei Wochen hier. Ist denn der Schock der HSV-Insolvenz verdaut?
Es passiert so viel im Leben, das hängt schon noch etwas nach, und ich telefoniere auch viel mit den Jungs da oben, die jetzt in der ganzen Welt verstreut sind. Sicher haben wir auch im Kopf, dass es in Hamburg irgendwie weitergehen kann. Aber wenn ich hier bin, bin ich voll fokussiert auf das Thema TVB, trainiere und fiebre dem ersten Spiel entgegen.
Das ist am Sonntag gegen den Bergischen HC, gleich ein Abstiegsduell. Ist es mehr als ein normales Spiel?
In unserer Situation gibt es kein normales Spiel, in das man geht und sagt: mal gucken, was rauskommt. Jedes Spiel ist ein Endspiel. Ich liebe es, Finals zu spielen, in denen es um was geht wie am Sonntag. Und am liebsten gewinne ich die natürlich auch. Das ist für mich kein Druck, sondern Anreiz. Daran arbeiten wir als Mannschaft noch: dass wir uns einfach auf das Spiel freuen. Der Bergische HC hat ja schon offen formuliert, dass es für sie ein Feuerwerk werden soll – da werden wir entsprechend dagegen halten.
Worin liegt der Unterschied, wenn man von einem Spitzenteam wie dem HSV zu einem Neuling nach Stuttgart kommt?
Die Ziele sind natürlich andere, auch wenn wir mit dem HSV nicht das Ziel hatten, ganz nach oben zu kommen, weil das am Anfang nicht realistisch war. Aber wir haben es auch da geschafft, mit einem großen Willen und Zusammenhalt ganz schwierige Zeiten durchzumachen, drei Monate ohne Geld zu spielen – und in dieser Phase sieben Spiele in Folge zu gewinnen gegen Vereine, die wir normalerweise nicht schlagen mussten. Von daher ist mir die Situation nicht neu, und ich nehme sie an wie sie ist. Es war ja mein Wunsch, eine Aufgabe in der Rückserie zu haben, und die Herausforderung ist für mich sehr groß.
Was gab denn den Ausschlag, diese Aufgabe ausgerechnet beim TVB Stuttgart zu absolvieren und nicht woanders?
Die Gespräche waren klar und prägnant. Jürgen Schweikardt (der Geschäftsführer, Anm. d. Red.) hat sich mit als Erster bei mir gemeldet und den Wunsch spüren lassen, das Ganze zu realisieren. Wir wussten beide, wo wir hin wollten, das war am Schluss ausschlaggebend. Für mich war auch wichtig, dass ich gut zu meiner Familie komme. Von Haustür zu Haustür bin ich jetzt keine zweieinhalb Stunden unterwegs, deswegen ist das für mich ideal.
Sie haben die Freiräume, zwischendurch mal nach Hamburg zu gehen. Aber jetzt in der Vorbereitung aufs Spiel waren Sie die gesamte Woche hier.
Ich bin vor jedem Spiel die ganze Woche da, das ist normal. Es geht nicht, dass ich drei Tage davor hier anrücke, es ist auch mein eigener Anspruch, hier zu sein. Aber wir haben in der Rückrunde nicht jede Woche ein Spiel, so dass ich mal zwei Tage am Stück bei meinen Kindern sein kann. Es ist für uns als Familie ganz wichtig, dass dieser enge Kontakt bleibt. Da sind mir Verein und Trainer entgegengekommen – unter der Prämisse, dass wir die sportlichen Ziele erreichen können.
Sie haben ja nie einen Hehl aus Ihrer Verbundenheit zu Hamburg gemacht. Dort haben Sie auch eine Stiftung Mittagskinder. Wie läuft die weiter?
Es wäre schön, wenn das meine Stiftung wäre. Nein, ich unterstütze sie als Botschafter und versuche, in meinem Umfeld und Netzwerk Leute zu akquirieren und zu sensibilisieren für das, was die machen. Denn es gibt nicht nur weltweit Kinder, die Not leiden, sondern selbst bei uns in Hamburg. Es war mir wichtig, was zu tun, wo ich vor Ort sein und mich einbringen kann. Und nicht nur blind Geld spende und sage: macht damit, was ihr wollt.
Wie groß ist die Chance, dass Sie über die Saison in Stuttgart spielen?
Da kann und will ich jetzt keine Aussage treffen. Wir haben noch nicht mal ein Spiel absolviert, und ich weiß noch nicht, ob ich das Pendeln auf Dauer kann oder möchte. Das nehme ich für mich als neue Situation erst mal so an. Der Verein hat signalisiert, dass er sich das länger vorstellen kann, ich auch. Aber das sind Spekulationen, es gibt im Moment keine Tendenz, sondern wichtigere Dinge.
Hängt das vielleicht davon ab, ob es in Hamburg eine Handballzukunft gibt – zum Beispiel mit den geplanten Hamburg Captains als neuem Team in der Stadt?
Das sind Überlegungen, die zur neuen Saison nicht zum Tragen kommen. Der Stand ist, dass es in Hamburg höchstens dritte Liga gibt – und das ist keine Option für mich.
Versuchen wir zum Abschluss mal noch einen Tipp: Auf welchem Platz landet der TVB Stuttgart?
Ich hoffe, dass wir den Klassenverbleib so früh wie möglich in trockenen Tüchern haben. Wir wissen, dass die letzten Spiele der Saison schwer sind, deshalb müssen wir am Anfang punkten und uns den Rücken frei halten. Aber wir haben eine große Chance, in der Liga zu bleiben. Und ob es dann Platz 13, 14 oder 15 ist, das interessiert am Ende keinen.