Das Wiedersehen mit Lieblingen des Stuttgarts Musicals führt in der Kirche zu Gänsehautmomenten. Lucy Scherer meldet sich zurück nach der Babypause. Aris Sas, der erste Alfred bei „Tanz der Vampire“, zeigt: Das Älterwerden kann warten.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Goethes Faust hatte es viel schwerer als der Musical-Hannes aus Südtirol. „Zwei Seelen wohnen, ach? in meiner Brust. Die eine will sich von der anderen trennen.“ Die berühmten Worte drücken Tragik aus. Im Faustmythos geht es um den hintergründigen Sinn der menschlichen Existenz, um Zerreißproben zwischen hellen und dunklen Mächten.

 

Doch kann der Mensch nicht froh sein, wenn ihm zwei Seelen innewohnen, wenn er nicht nur auf die eine oder die andere Seite festgelegt ist? Stets vor Weihnachten lädt der Stuttgarter Musicalstar Hannes Staffler, ein gebürtiger Südtiroler mit rockiger Stimme, die gänsehautmäßig reinhaut, zu einem Konzert mit dem schönen Titel „Two Souls“ in die Degerlocher Versöhnungskirche ein. Seit sieben Jahren wird daraus ein Wiedersehen mit den Lieblingen des Stuttgarter Musicals.

Hannes Staffler spielt momentan im Musical „Ghost“

Staffler, der momentan alternierend die Hauptrolle des Sam in „Ghost“ spielt, holt Sängerinnen und Sänger in jene Stadt zurück, die in deren Karriere wichtig war. Hier haben sie im SI-Centrum Großartiges geleistet, weshalb die Fans sie unvermindert verehren. Bei den Vorweihnachtskonzerten der zwei Seelen wird stets klar, wie familiär es in der Stuttgarter Musicalwelt zugeht.

Die eine Seele der Protagonisten, logo, gehört dem Musical, die andere Seele ist meist Rock – und kann bis zur Schwäb’schen Eisabahna reichen, wie jetzt zu erleben war.

Kurz vor dem Auftritt stillt Lucy Scherer backstage ihr Baby

Lucy Scherer reiste aus Zürich an, wo sie mit Mann und siebenmonatigem Baby lebt. Die 37-jährige Sopranistin hat viel in Stuttgart gespielt: die Glinda in „Wicked“, die Sarah in „Tanz der Vampire“, Ich in „Rebecca“, die Adrian in „Rocky“. Wegen Schwangerschaft und Geburt hat sich eine der erfolgreichsten Musicalsängerinnen in Deutschland von der Bühne zurückgezogen. Jetzt tut’s ihr gut, sich zurückzumelden, etwa mit „Vivo per lei“ im Duett mit Staffler, mit jenem Lied, das Andrea Bocelli berühmt gemacht hat. Die Band um den herausragenden Pianisten Boris Ritter , dem „Ghost“-Dirigenten, treibt die zwei Sängerinnen und zwei Sänger bei Musikstücken etwa von Deep Purple, Abba und Pink bestens an.

Kurz vorm Auftritt hat Lucy Scherer backstage ihr Baby gestillt. Und dann ist’s vorbei mit Stille. Vor Jahren gab’s noch Widerstände in Degerloch gegen ein Rockkonzert im Gotteshaus. Zur Seele der Kirchenlieder stößt die Seele des Rock. In einer Versöhnungskirche werden sich Gegensätze, falls nötig, doch versöhnen dürfen. Hat der Schöpfer die Menschen nicht bewusst mit Vielfalt versehen, um das Leben reich zu machen?

Aris Sas war vor fast 20 Jahren der erste Alfred bei „Tanz der Vampire“ in Stuttgart

Der Österreicher Aris Sas war im Jahr 2000 der allererste Alfred bei „Tanz der Vampire“ in Stuttgart, von Roman Polanski bereits für die Weltpremiere in Wien in dieser Rolle ausgewählt. Mit seinen 43 Jahren hat der einstige Wiener Sängerknabe nichts an jugendlicher Frische verloren. Er ist der Feingeist des Konzerts, ein Strahlejunge, der mit der Wandlungsfähigkeit seiner Stimme jeden und jeden auf den Kirchenbänken fängt.

Helena Blöcker ist die fantastische Vierte im Zwei-Seelen-Bühnenbund. Das Stuttgarter Publikum kennt sie aus „Die drei Musketiere“, „Wicked“, „Rebecca“ und als Donna n „Mamma Mia!“. Und jetzt beweisen Staffler und seine drei Gäste auf mitreißende Weise, dass man mit Seelendualismus viel weiterkommt.

Nichts unterdrücken sollte man, sondern auch seine andere Seite rauslassen. Ist gut fürs Seelenleben! Da muss nichts zerreißen wie einst bei Doktor Faust. Ob für die auf oder für die vor der Bühne: Musik in ihrer ganzen Vielfalt ist ein Dampfventil der Seele!