Seit Jahrzehnten ist er im Popgeschäft: Udo Jürgens. Im September wird er 80 Jahre alt. Aber eine Abschiedstournee hat der Sänger, Unterhalter, Showstar nicht nötig. Seine neue CD heißt „Mitten im Leben“.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Zürich - Ist Udo Jürgens ein Thema fürs deutsche Feuilleton? Inzwischen ja. Aber das war nicht immer so. Was ganz sicher weniger an Udo Jürgens lag als am Feuilleton. Die Kulturseiten deutscher Zeitungen pflegten nun einmal lange Zeit einen Kulturbegriff, in dem solche Themen wie Unterhaltungsmusik, Schlager, Pop gar nicht vorkamen – wenn man mal absieht von deren Erwähnung in Glossen oder kulturpessimistischen Abhandlungen. Udo Jürgens, das war Samstagabendshow, deutsche Hitparade, Puschenkino, Herz-Schmerz-Umpta. Das lief im Vermischten.

 

Udo Jürgens selbst konnte das egal sein. Seit rund sechzig Jahren macht er professionell Musik. Seit fünfzig Jahren ist er bekannt als Sänger, Unterhalter, Showstar in allen deutschsprachigen Ländern. Seit vierzig Jahren füllt er auf seinen Tourneen mühelos die großen Säle. Seine Tonträger verkauften sich millionenfach. Seine Titel hat fast jeder Ohr. Ob das „ehrenwerte Haus“, ob „Aber bitte mit Sahne“, ob „66 Jahre“; vier Takte Anspielen genügen, und man kann schon weitersummen. Was braucht man da das Feuilleton?

Aber irgendwann kam Udo Jürgens dann auch in den Kulturteil. Denn auch anspruchsvolle Musikkritiker haben mit der Zeit erkannt, was die Deutschen (und Österreicher und Schweizer, Liechtensteiner und Luxemburger) an Udo Jürgens haben: einen der ganz wenigen Unterhaltungskünstler, für dessen Musik, so leichtgängig sie auch immer sein mag, man sich niemals zu schämen braucht. Ganz im Gegenteil: dessen Melodien, dessen Texte und dessen stimmliche Qualität stets den Anschluss mit der Chansonszene in Frankreich zu halten vermochte. Udo Jürgens ist ein Großer. So viel erstmal dazu.

Sechzehn neue Titel, nichts Augewärmtes

Und zum Werk eines wirklich großen Künstlers gehört, dass er niemals glaubt, den Anschluss an die aktuelle Szene verlieren und mit seinem Schaffen abschließen zu wollen. Dieses ganze peinliche Theater mit den ewigen Abschiedstourneen, den sich einige verblassende Sterne leisten, um wenigstens noch einmal die sentimental geneigten Altfans zum Kauf von Eintrittskarten und Werbeartikeln zu bewegen – niemals würde Jürgens auf so etwas kommen. Er hat mit 71 Jahren eine neue CD veröffentlicht, mit 74, mit 77. Er wird in einem halben Jahr achtzig, und natürlich schenkt er seinem Publikum auch da wieder eine neue CD: „Mitten im Leben“. Sechzehn neue Titel, nichts Aufgewärmtes, nichts Nachgemachtes, nicht Neu-Gemixtes oder von anderen Geklautes – sechzehn neu komponierte Lieder zu guten, anspruchsvollen Texten. Der Mann kann es. Warum sollte er es jetzt bleiben lassen?

Noch immer der Mix aus schnellen und langsamen Stücken. Noch immer das große Orchester im Hintergrund, mit Trompeten, Posaunen und vielen Streichern, der geliebte Orchestersound. Und gleich danach wieder das kleine, ruhige Stück, in dem er ganz allein ist mit seinem Klavier, das in solchen Fällen immer wie eine zweite, nicht begleitende, sondern gleichberechtigte Stimme agiert.

Überhaupt: die Stimme. Mit 79 Jahren singt niemand mehr wie mit vierzig Jahren. Udo Jürgens ist viel zu souverän, um die Eigenarten einer älter werdenden Stimme von den Tontechnikern, die das zweifellos könnten, herausmixen zu lassen. Als Person wird er vermutlich genauso mit der vergehenden Zeit hadern wie jeder Mensch auf der Welt. Als Künstler bekennt er sich zu den Falten. Er ist „mitten im Leben“, aber eben auch mit manchem kleinen Bruch, mit kleinen Schatten im Vortrag. Respekt. Nein, Jürgens ist keine Diva.

Im Herbst geht es wieder auf Tournee

Er pflegt weiter jene Form der Zeitkritik, ob nun im Titel „Der Mann ist das Problem“, in der „riesengroßen Gier“ oder im „gläsernen Menschen“, über die sich ein Kritiker leicht mokieren kann, weil sie zwar den Zeigefinger erhebt, aber nie wirklich tief in die Wunden der Gesellschaft dringt. Man muss beim Hören solcher Texte eher schmunzeln, als dass Wut auf die Verhältnisse ins Spiel käme. Aber lieber über die Seltsamkeiten der Welt schmunzeln, als sie zu verschunkeln.

Aber keine Frage: die wahren Stärken von Udo Jürgens zeigen sich in seinen ruhigen Titeln. „Was ich gerne wär’ für dich“ ist ein wunderbar unsentimentales Liebeslied. „Alles aus Liebe“ eine schöne Aufforderung, den Glauben an das Gute nicht zu verlieren („Lass dem Schwärmer die Nacht / Und dem Guten die Macht. / Lass’ die Mächtigen wissen, / Dass sie niemals über uns steh’n“). Und dann kommt ganz zum Abschluss ein wunderbarer Kehraus: „Zehn nach elf“, ein fein gewobenes Lied über die Stimmung eines Künstlers nach einem großen Konzert, beim Herunterkommen in der Garderobe, beim Gang ins Hotel, beim nächtlichen Zappen durch die Fernsehprogramme – stets mit dem Wunsch und dem Zweifel, gerade jetzt am liebsten noch den Liebste oder die Liebste anrufen zu wollen. Kleines, feines Kino.

Am 30. September feiert Udo Jürgens Geburtstag. Am 24. Oktober geht er auf Tournee. Am 31. Oktober wird er in Stuttgart sein. Schleyer-Halle, wo sonst. Das wird dann sicher wieder ganz großes Kino.

Udo Jürgens: Mitten im Leben. Ariola (Sony). Ab 14,99 Euro.