Udo Lindenberg wird am Dienstag 70 Jahre alt. Alle feiern den Altrocker – allen voran seine Heimatstadt Gronau. Das war nicht immer so. Ein ganz persönlicher Geburtstagsgruß.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - Lieber Udo Lindenberg,

 

es ist der 3. September 1985 und ich bin 13 Jahre alt. Mädchen sind offiziell nicht mehr doof, aber immer noch vollkommen rätselhaft. Ich fiebere meinem ersten Rockkonzert entgegen. Na gut, die Eltern sind dabei, aber immerhin. Du, Udo Lindenberg, beginnst in diesem Spätsommer 1985 Deine Sündenknall-Tour in Gronau, Deiner Heimatstadt. Die Fans sammeln sich hinterm Bahnhof auf einem seit Jahren abgesperrten Fabrikgelände.

Gronau ist damals eine westfälische Kleinstadt in tiefer Agonie. Drei Jahre früher war nach jahrelanger Krise und trotz Millionenspritzen von der Landesregierung der Textilkonzern Van Delden pleite gegangen. Delden zählte jahrzehntelang zu den größten Textilkonzernen der Welt, er hatte ganz Gronau ernährt. Der Zusammenbruch schaffte es bis in die Tagesschau, danach zählte die Grenzstadt lange Zeit Arbeitslosenraten, wie es sie zurzeit in Südeuropa gibt.

Die Stadt kann in diesem Sommer 1985 ein bisschen Aufmunterung gut brauchen, dass sie ausgerechnet von Dir kommt, hat eine gewisse Ironie. Denn mal ganz ehrlich, Udo, bis dahin war es einem nicht unbedingt aufgedrängt worden, dass Du aus Gronau kommst. Ein langhaariger Sozialdemokrat und Rockmusiker ist im schwarz-katholischen Münsterland ja erstmal grundsätzlich verdächtig. Dass der Vater meines damals besten Freundes mit Dir die Schulbank gedrückt hatte, habe ich eher nebenher erfahren. Und wenn man von Dir sprach, wurde eigentlich nur der Satz kolportiert, den Du mal gesagt haben sollst: Dass die beste Straße in Gronau jene ins Nachbarkaff Ochtrup sei, weil die aus Gronau raus führe.

Dreiklang aus Schützenfest, Schweinemast und Kirchenbeichte

Jeder Jugendliche, der im Gronau nach der Delden-Pleite seine Nachmittage auf den Parkbänken totschlug, hatte dafür allerdings Verständnis. Wie es Dir in Gronau ergangen ist, hast Du in einem eindrucksvollen Spiegel-Interview erzählt. Und wer wie Du mit dem münsterländischen Dreiklang aus Schützenfest, Schweinemast und Kirchenbeichte nichts anzufangen wusste, hatte es nicht leicht in Gronau. Drum war Dein Auftritt in einer der stillgelegten Fabrikhallen – auch das ein Symbol – das Jahresereignis.

Und vielleicht auch ein Impuls? Vier Jahre später gingen die Lichter an fürs erste Gronauer Jazz-Fest, das vor wenigen Tagen seine 28. Auflage erlebt hat, und zu dem damals wieder die alten Fabrikanlagen herhalten durften. Da fanden dann in den alten Klinkermauern Konzerte unter Umständen statt, die jegliche Brandschutzvorschrift verhöhnten, zum Beispiel der legendäre Auftritt von Fats Domino lange nach Mitternacht, als jeder glaubte, in der hoffnungslos überfüllten Location zu ersticken.

Udo Lindenberg, eine Institution

Das alles ist nun Jahrzehnte her, und Gronau hat sich wieder ein bisschen aufgerappelt, zugleich liegt es Dir zu Füßen. Seit 2004 steht auf dem früheren Delden-Areal das mit Deiner Hilfe aufgebaute Rock’n’Pop-Museum, die Adresse: Udo-Lindenberg-Platz 1. Im vergangenen Jahr haben sie Dir eine überlebensgroße Statue aufgestellt. Ich habe das für albern gehalten, aber wie Du am Tag der Enthüllung Deine frühere Musiklehrerin Almuth Gilhaus geherzt hast, hat mir gezeigt, dass Deine Herkunft keineswegs Hindernis war. „Sie hat mich darin bestärkt, das mit der Musik zu machen“, hast Du gesagt. In Gronau steckt Musik – und zwar jede Menge.

Und jetzt, zum 70. Geburtstag, wollen sie Dich zum Ehrenbüger machen. Das ist nur konsequent. Jene jungen Leute, die Dich und Deine Musik damals in den 70ern und 80ern geliebt haben, sind inzwischen durch die Institutionen marschiert und dürfen heute entscheiden. Du aber bist zur Institution geworden. Allein die Mädchen sind rätselhaft geblieben.

Alles Gute zum Geburtstag, lieber Udo Lindenberg!