Udo Proksch, der Gesellschaftslöwe, dominierte einst die Wiener Szene und wurde am Ende zum Mörder. Nun kehrt er als Filmfigur zurück.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)
Wien - Wer Udo Proksch war? Gute Frage. Erika Pluhar, vierzig Jahre Vorzeigeschauspielerin an der Burg und aus feiner Wiener Familie, müsste es wissen, denn sie war mal mit Proksch verheiratet und hatte ein Kind von ihm. Ihr zufolge war Proksch "ein Hofnarr", aber diese Ansicht sei auch nur "die Spitze des Eisbergs". Niki Lauda, den man nicht vorzustellen braucht, hat ihn in Erinnerung als "innovativen Halbwahnsinnigen". Für andere war er der "General", ein "Fallensteller", ein "Militärtrottel, von der Ornamentik des Bösen begeistert". Daphne Wagner, die Urenkelin des Komponisten Richard Wagner, auch Exehefrau von Proksch, meint, er sei "sehr kreativ" gewesen, habe aber auch "ins Kriminelle gedacht."

Ein Szenemann, der zum Mörder wurde


All diese Aussagen fallen in Robert Dornhelms neuem Dokumentarfilm "Out of Control" über einen, um das Mindeste zu sagen, exzentrischen Lebemann, der die Wiener Szene der sechziger und siebziger Jahre dominiert hat, der am Ende zum mehrfachen Mörder wird.

Udo Proksch, Sohn bedingungsloser Nazieltern, geboren 1934, gestorben 2001, war ein Rätsel und bleibt es, wobei nach seinem Tod (der nach einer Herztransplantation in der Grazer Haft eintritt), die Rätselhaftigkeit vielleicht weniger ihn selbst umgibt als vielmehr jene anderen, die sein Leben zeitweise geteilt haben beziehungsweise - aus Prokschs Sicht - seiner teilhaftig werden durften. Denn Proksch posierte nicht nur gelegentlich im Napoleonskostüm, er regierte auch so: als heimlicher Gesellschaftskaiser der Zweiten Republik in Österreich und hatte an Günstlingen keinen Mangel. "Bei mir", sagte Proksch, "können sie fressen und saufen - aber tanzen werden sie nach meiner Pfeife." Und so geschah es.

Schön war Proksch nicht, eher ein dicker, lärmiger Erdapfel vulgo Kartoffel. Null Gardemaß: 1,50 Meter geradeso. Er hasste den Adel und die bürgerliche Gesellschaft - und tummelte sich doch als Zampano mitten unter solchen Leuten. Wie ihm das gelungen ist? "Wien war verstaubt damals und Proksch war locker. Offen, direkt, charmant. Das hat allen imponiert.", sagt Dornhelm. Proksch, ein selbst ernannter Weltbürger unter lauter Provinzlern.

Proksch hatte an der Akademie für angewandte Kunst studiert, wenn auch nicht sehr ernsthaft, und sich vorerst etabliert als Brillendesigner. Die weltweit erfolgreichen und millionenfach verkauften Modelle Gigi und Carrera stammten von ihm, so etwas erledigte Proksch nebenbei. Sein eigentliches Gebiet war, wie er selber meinte, die "Rattenfängerei": Menschen miteinander bekannt machen, Leute leimen.

Er gründete den "Verein der Senkrechtbegrabenen"


Proksch hatte "Connections", als der Rest der Welt das Wort gerade buchstabieren konnte, und wenn ihm trotzdem fad wurde, was vorkommen konnte, besorgte er sich einen Panzer und fuhr damit durch Wien, kreierte Leichentücher und begründete den "Verein der Senkrechtbegrabenen", weil er einerseits fand, dass die Toten zuviel Platz wegnehmen, andererseits, dass der Mensch wenigstens nach seinem Dahinscheiden eine aufrechte Position einnehmen sollte. Künstler, oft verkrachte, gingen ihm reihenweise auf den Leim, und auch Politiker, korrupte zumeist.

Nachdem Proksch 1972 die heute wieder seriös geführte k.u.k.-Hofbäckerei Demel am Kohlmarkt gekauft hatte, etablierte er dort den so genannten Club 45. Es war die Zeit, als die SPÖ (zunächst zusammen mit der damals noch liberalen FPÖ und schließlich allein) die Regierungsverantwortung in Österreich trug, und es war anfangs eine gute Zeit für Österreich.

Weniger gut war, dass sich maßgebliche Mitglieder der damaligen Regierung bei Proksch trafen, um sich mit dem Rest einer Societyblase zu amüsieren, die sich nach dem Prinzip "Eine Hand wäscht die andere" arrangierte, darunter alte und neue Generäle, amtierende und kommende Politgrößen (beispielsweise der damalige SPÖ-Nationalratspräsident Poldi Gratz und der heutige Bundespräsident Heinz Fischer). Bei Proksch waren sie fast alle. Bis Proksch definitiv nicht mehr bei sich war.

Seine Großmannsattitüden als ballernder Pistolero (eine Leidenschaft, die er, von Spezln gedeckt, gerne auf Truppenübungsplätzen auslebte), mochte ihn prädestiniert haben, ein Verbrecher zu werden. Wohl hoch verschuldet, charterte Proksch den Riesenfrachter Lucona, um angeblich eine hoch versicherte Uranerzmühle (in Wahrheit aus billigstem Kunststoff) zu verschiffen. Im Januar 1977 sank die Lucona im Indischen Ozean, sechs Menschen starben.

Er wollte "keine Spuren hinterlassen"


Die Versicherung misstraute Proksch, Poldi Gratz und andere Spießgesellen aus dem Club holten Proksch 1985 aus der U-Haft. Er floh nach Asien, ließ sich das Gesicht operieren, hielt sich bei Imelda Marcos in Manila auf, die er wiederum vom Wiener Opernball her kannte, wurde wieder dingfest gemacht, 1989 erneut verhaftet und 1992 wegen sechsfachen Mordes zu lebenslangem Gefängnis verurteilt.

Im Film enthüllt Daphne Wagner ein Geheimnis von Udo Proksch, der ein manischer Sammler gewesen ist. Robert Dornhelm glaubt, es sei Prokschs größte Angst gewesen, "keine Spuren zu hinterlassen". Viele, die mit ihm zusammenhängen, nimmt der Schwerenöter Proksch, der fünf Kinder mit verschiedenen Frauen hatte, mit auf die Philippinen. In einem Karton hortet er Fotoserien aus dem Club und diversen seiner Wohnungen, auf denen Österreichs Mächtige bei teils exzessiv ausgelebten Seitensprüngen zu sehen sind.

Proksch hatte sie, um in Notfällen etwas in der Hand zu haben, alle fotografieren lassen. Daphne Wagner verbrennt die Bilder. Wie die Aufnahmen selber bleibt auch das Innere von Udo Proksch, was ihn trieb und warum sich andere von ihm treiben ließen, am Schluss unsichtbar: der hemmungslose Selbstdarsteller und Verbrecher (Wenn ich einen bescheißen will, werde ich ihn bescheißen...") als Entziehungskünstler.