Zeitzeugen der Stuttgarter Ermittlungsbehörden sind vom Treiben der Terrorveteranen überrascht. Sie hoffen immer noch darauf, RAF-Morde klären zu können.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Stuttgart - Die blutigen Schrecken des Deutschen Herbstes sind in der Stuttgarter Polizei, zumindest in der Generation 50 plus, bis heute präsent. Der Kampf gegen den Terror und die schrecklichen Verluste, die er forderte, sind Teil der DNA der Stuttgarter Ermittlungsbehörden geworden. Kein erfahrener Beamter in der Landeshauptstadt, der nicht die Namen der Kollegen Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer kennte, die am 5. September 1977 als Personenschützer des BDI-Präsidenten Hanns Martin Schleyer in einem Kugelhagel starben.

 

Seit Montag, als der NDR erstmals darüber berichtete, dass die Veteranen der Roten-Armee-Fraktion Ernst Volker Staub, Daniela Klette und Burkard Garweg fast 20 Jahre nach dem Ende der RAF immer noch auf Beutezug sind, dominiert in den Kantinen südwestdeutscher Polizeidienststellen wieder dieses Thema, das eigentlich längst erledigt schien. Die alten Erinnerungen werden wach. Von einer „Überraschung“ spricht Horst Haug, langjähriger Pressesprecher des Landeskriminalamts in Stuttgart, aber 1978 noch junger Beamter im Terrorismusdezernat. Als Mitglied mehrerer Sonderkommissionen hat Haug damals fieberhaft nach konspirativen Wohnungen von Terroristen gefahndet. Er hoffe, sagt er jetzt, dass die Flüchtigen von Bremen gefasst würden, dass sie Aussagen machten und dass „Licht ins Dunkel der einen oder anderen Tat der RAF kommt“.

Terroristen gehen wie Untote im Untergrund um

Dem schließt sich Hermann Karpf an, in den Jahren 1978 und 1979 Dienstgruppenleiter beim Personen- und Objektschutz der Stuttgarter Polizei. Er und seine Leute waren für die Häuser der Stammheim-Richter, von Verteidigern und Staatsanwälten im Stadtgebiet zuständig. Ein irrsinniger Abschnitt der Geschichte, in dem der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann, so ist es überliefert, seinem engsten Personenschützerkreis in Stuttgart das Versprechen abverlangt haben soll, ihn lieber zu erschießen, als einem Entführungstrupp der RAF preiszugeben. Er sei erschüttert gewesen von der Nachricht, sagt Karpf, dass im deutschen Untergrund offenbar immer noch Ex-Terroristen umgehen wie Untote in einem miserabel ausgestatteten Gruselfilm. „Es ist traurig. Es geht wohl nur noch ums Überleben und ums Geld – ohne geistigen Überbau“, kommentiert Karpf. Er ist 2006 dem langjährigen Polizeipräsidenten von Stuttgart, Martin Schairer, der Ordnungsbürgermeister wurde, ins Rathaus gefolgt.

Klaus Pflieger haben die Nachrichten aus Deutschlands Norden mehr bestätigt als überrascht. „Man konnte darauf warten, dass die irgendwann wieder mit einer Geldbeschaffungsaktion auftauchen. Von was sollen die leben?“, sagt der frühere baden-württembergische Generalstaatsanwalt und Verfasser von Büchern und Publikationen, die sich mit RAF-Terror beschäftigen.

Da waren es nur noch drei....

Dass die RAF sich per zehnseitigem Schreiben im April 1998 zwar als politisch motivierte Terrorgruppierung aufgelöst hatte, deren Mitglieder aber weiterhin kriminell aktiv waren, hatte sich rasch gezeigt. Anderthalb Jahre nach der Selbstauflösung, im September 1999, war es bei einer Polizeikontrolle in Wien zu einer tödlichen Schießerei gekommen. Ein auffälliges Paar war vor einer Bankfiliale von einem Zeugen gesehen worden. Das verdächtige Paar feuerte auf herbeieilende Polizisten, wenig später lag der gebürtige Schwenninger Horst Ludwig Meyer tot am Boden. Laut BKA hatte er zur Kommandoebene der dritten Generation der RAF gezählt; in Wien war er mit Andrea Klumpp unterwegs. Klumpp wurde 2004 wegen Beihilfe zum Mord in 32 Fällen zu zwölf Jahren Haft verurteilt und sagte sich vom Terrorismus los. Meyer wurde auf dem Stuttgarter Dornhaldenfriedhof beigesetzt.

Da waren es noch vier aus der Riege übrig gebliebener RAF-Terroristen, nach denen das BKA in den kommenden Jahren fahndete: neben Staub, Klette und Garweg noch die einstige Heidelberger Studentin Friederike Krabbe. Doch das BKA hörte irgendwann auf, offiziell nach Krabbe zu suchen; angeblich hatte ein Kronzeuge glaubhaft versichert, die Ex-Terroristin habe sich mit einem Palästinenser verheiratet und lebe bei Bagdad. Nicht wenige staatskritische Geister aus diesen Tagen sind bis heute überzeugt, Krabbe habe ihre neue Existenz mit Hilfe deutscher Geheimbehörden aufgebaut, im Gegenzug für wertvolle Informationen. Fest steht nur, dass die frühere Medizinstudentin irgendwann nach dem Jahr 2010 von der öffentlichen Fahndungsliste des BKA verschwand.

Es blieben also die drei Straftäter, die sich darauf spezialisiert zu haben scheinen, Geldtransporter zu überfallen. Schon 1999 haben sie es offenbar getan, in Duisburg. Das belegen weitere DNA-Spuren, die an Gesichtsmasken hafteten, die auf der Flucht fortgeworfen wurden. Die Beute soll damals eine Million Mark betragen haben; Geld, das nun aufgebraucht scheint.

Klaus Pflieger fürchtet, dass der zuletzt fehlgeschlagene Überfall bei Bremen die nächste gewaltsame Straftat bereits ankündigt. Zugleich hofft er auf die Ergreifung der Flüchtigen und Aussagen, die helfen, das Puzzle des RAF-Terrors zu komplettieren. Pflieger erinnert an den nur lückenhaft aufgeklärten Mord an Siegfried Buback und des Siemens-Managers Karl Heinz Beckurts. 1986 war der bei einem Bombenanschlag in München ums Leben gekommen. Wer die Mörder sind, ist bis heute nicht bekannt.