Wer nachhaltig leben will, beschäftigt sich oft mit Lifestyle-Entscheidungen. Das ist gut, verstellt aber auch den Blick darauf, wer besonders viel CO2 in die Luft bläst. Konzerne und Politiker machen sich das mitunter zunutze.

Psychologie/Partnerschaft: Florian Gann (fga)

Stuttgart - Zwei Wochen sind nun seit der Veröffentlichung des neuen Berichts des Weltklimarats vergangen. Darin wurde so ziemlich alles bestätigt, worauf Wissenschaftler:innen ohnehin immer wieder hinweisen: Die Erde wird wärmer, nur eben schneller als bisher gedacht, und die Folgen können dramatisch sein. Und dass wir auf verschiedene Kipp-Punkte zusteuern, wussten wir schon vorher. Klima-Apokalypse, wieder einmal? CO2-Shaming, weil mal wieder jemand ins Flugzeug gestiegen ist oder ein Schnitzel verdrückt hat? Keine Sorge – heute geht es darum, warum uns genau das nicht weiterbringt. Warum wir alleine nicht alles bewirken können, und es trotzdem auf alle ankommt.

 

Das CO2, das wir jetzt ausstoßen (36.400 Millionen Tonnen waren es 2019 laut GCP), entfaltet erst in zehn Jahren seine maximale Treibhauswirkung. Und selbst, wenn du und ich unseren eigenen CO2-Ausstoß sofort auf 0 reduzieren würden, entfiele laut Greenpeace durch die Infrastruktur und deren Betrieb – also Schienen, Straßen, Schulen, Krankenhäuser – 1,5 Tonnen CO2 auf dich. Zur Erinnerung: Zwei Tonnen pro Kopf sind die Grenze, um eine zunehmende Erwärmung aufzuhalten. Die plastikfreien Kekse aus dem Unverpackt-Laden ändern leider wenig daran, dass es sich in Deutschland derzeit nur sehr schwer klimaneutral leben lässt.

Verantwortung wird den Einzelnen zugeschoben

Das heißt auch: Nachhaltiger leben, wie wir das hier auch immer wieder thematisieren, ist gut und wichtig. Aber viel Kraft und Energie darauf zu verwenden, lenkt auch davon ab, dass mit diesen Lifestyle-Entscheidungen niemals die Klimakrise bewältigt werden kann.

Der Wissenschaftler Michael E. Mann hat sich in seinem Buch „Propagandaschlacht ums Klima“ damit auseinandergesetzt und erkennt darin nicht nur ein Problem, sondern auch Strategien, die von Gegner:innen des Klimawandels bewusst eingesetzt werden. Der Petro-Konzern BP war etwa das erste Unternehmen, das einen CO2-Kalkulator online stellte. Die Botschaft, laut Mann: Die Menschen verursachen den CO2-Ausstoß, nicht der Konzern als Anbieter von Diesel und Benzin. Er nennt es Deflection, Ablenkung, weil Konzerne von ihrer Verantwortung und von systematischen Lösungen ablenken. Man kennt diese Argumentation von der US-Waffenlobby NRA: „Guns don’t kill people, people do“ – Waffen töten keine Menschen, sondern Menschen töten Menschen.

Wer an den Untergang glaubt, tut nichts

Unternehmen, die solche Taktiken einsetzen, nennt Mann „Forces of Inaction“, Kräfte der Untätigkeit, weil ihr Ziel ist, Menschen im Kampf gegen den Klimawandel zu demobilisieren. Anstatt wie früher den menschengemachten Klimawandel zu leugnen, wird er nun also vordergründig anerkannt, aber Bestrebungen dagegen werden versucht zum Stillstand zu bringen.

Das funktioniert etwa auch so: Wer die Menschen glauben lässt, dass gegen den Klimawandel ohnehin nichts zu machen ist, beginnt mitunter auch tatsächlich nichts mehr zu machen. Zumindest in breiten Teilen der Bevölkerung. „Doomism“ nennt das Mann. Bei Aktivist:innen mag das vielleicht anders sein – aber gerade sie tragen oft das Narrativ der unaufhaltsamen Katastrophe weiter und spielen damit, so Michael E. Mann, den „Forces of Inaction“ in die Hände.

Warum Streit den Klimawandel-Leugner:innen hilft

Eine weitere Taktik ist Teilung. Der Flugverkehr ist für etwa drei Prozent des weltweiten CO2-Äquivalente verantwortlich, der Fleischproduktion und – verarbeitung für 14 Prozent, der Energiesektor für mehr als 80 Prozent. Wenn sich Menschen wegen eines Steaks oder eines Fluges gegenseitig anschuldigen, wird die Gesellschaft der Kraft beraubt, die großen Entscheider:innen und Verschmutzer:innen in die Verantwortung zu ziehen.

Kein Steak zu essen oder auf Flüge zu verzichten, sind zwar wichtige individuelle Entscheidungen, aber darüber Konflikte auszutragen, sei nicht sinnvoll, sagt Mann. „Wenn sich der Klimadiskurs in ein Gezeter über Ernährungs- und Reiseentscheidungen verwandelt und sich um persönliche Reinheit, Bloßstellen von Menschen aufgrund ihres Verhaltens und um Tugendhaftigkeit dreht, werden wir nicht in der Lage sein, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen. Dann werden wir verlieren und es werden sich die Interessen der fossilen Brennstoffwirtschaft durchsetzen“, schreibt Mann.

Die Last darf nicht nur auf den Einzelnen liegen

Was lernen wir daraus? Wir alle werden unser Verhalten umstellen müssen, um klimaneutral zu werden. Jede:r Einzelne, die einen Beitrag leistet, ist ein Gewinn. Andere zu einem nachhaltigen Verhalten anzuspornen, ist auch nie verkehrt – sofern du merkst, dass dein Gegenüber offen dafür ist. Jemanden für Konsumentscheidungen anzuprangern, bringt wenig, weil niemand von verhärteten Fronten profitiert.

Konsumentscheidungen sind natürlich ein relevantes Druckmittel, um die Wirtschaft darauf aufmerksam zu machen, dass man etwa ressourcenintensive Produktionsweisen nicht mitträgt. Sich als Konsument:in in allen Bereichen auf nachhaltig umzustellen, kann aber viele überfordern. Das können Expert:innen in politischen Fachgruppen besser – und die Politik ist es letztlich, die Unternehmen durch Gesetze auf nachhaltige Wege bringen muss, ohne die Wähler:innen durch „es ist ohnehin zu spät“- oder „es wird alles gut“-Rhetorik einzulullen. Was für ein Glück, das wir genau darüber in wenigen Wochen bei der Bundestagswahl entscheiden können.