Der Prüfkonzern baut eine „Geisterstadt“ für das autonome Fahren. Die Stuttgarter stoßen in Sachsen auf ihre eigene Historie.

Stuttgart - Die Stuttgarter Sachverständigenorganisation Dekra, die auf die Prüfung von Autos spezialisiert ist, kauft mit Wirkung vom 1. November die Rennstrecke Lausitzring in Brandenburg. Verkäufer ist eine Gruppe von bayerischen Unternehmern, die den Lausitzring 2009 übernommen hatten. Im Mittelpunkt stehen Josef und Hermann Meier sowie Josef Hofmann, die im Bereich Motorradzubehör engagiert sind und den Rennstall Alpha Racing betreiben. Dekra unterhält in der Nähe des Lausitzrings in Klettwitz bereits das Dekra Technology Center (DTC). Zusammen sollen DTC und Lausitzring nach den Plänen von Dekra ein Innovationszentrum für die Prüfung der Mobilität der Zukunft – automatisiertes und vernetztes Fahren – bilden.

 

Die Zeit des Motorsports auf dem Lausitzring wäre damit vorbei. Die im Jahr 2000 eröffnete Anlage muss renoviert werden. Die ursprünglichen Pläne, dort Formel-1-Rennen zu veranstalten, sind schon früh geplatzt. Der Verkäufer Josef Meier wies bei der Bekanntgabe des Eigentümerwechsels auf den aktuellen Investitionsbedarf hin. Dekra will das Gelände nach der Übernahme Anfang 2018 Kunden zur Verfügung stellen. Der geplante Ausbau von Strecken und Infrastruktur soll im Laufe des Jahres 2018 vollzogen werden.

30 Millionen Euro sollen investiert werden

Dekra-Chef Stefan Kölbl hat bereits bei der Bilanz-Pressekonferenz im Mai Investitionen von 30 Millionen Euro in den Bereich Internet und Auto angekündigt. Diesen Betrag nennt das Unternehmen auch jetzt wieder, da Kölbl nach Angaben eines Sprechers bereits damals vom Lausitzring-Erwerb ausgegangen war. Unter anderem soll in Klettwitz ein auf das autonome Fahren ausgerichtetes Labor aufgebaut werden. Schwerpunkt des Standorts ist bis jetzt die Typprüfung von Fahrzeugmodellen und Bauteilen. Auf dem Gelände des Lausitzrings sollen Strecken und Anlagen entstehen, auf denen automatisierte Fahrfunktionen umfassend getestet werden können.

Geplant sind auf dem 500 Hektar großen Areal zwei Citykurse, ein Überlandkurs sowie eine Autobahnstrecke, auf denen komplexe Szenarien für innerstädtische, außerstädtische und Autobahnfahrten dargestellt werden können; bei Dekra ist sogar vom Bau von „Geisterstädten“ die Rede. So kann zum Beispiel untersucht werden, wie automatisch fahrende Autos auf Fußgänger und andere Bewegungen in ihrem Umfeld oder auf Signale (Ampelanlagen) reagieren. Am Lausitzring sind gegenwärtig 48 Mitarbeiter tätig. Mittelfristig sollen nach den Dekra-Plänen 70 Spezialisten hinzukommen. Im benachbarten DTC in Klettwitz arbeiten bis jetzt knapp 100 Männer und Frauen.

Eine Konkurrenz zum Standort Malaga sieht Dekra nicht

Klettwitz und der Lausitzring sollen zusammen mit weiteren Standorten in Europa und Asien einen internationalen Testverbund bilden. In Málaga/Spanien ist ein Labor mit dem Schwerpunkt Vernetzung geplant. Auch in Klettwitz soll mittelfristig Kompetenz für das Thema Konnektivität aufgebaut werden. Daraus ergebe sich angesichts des großen Bedarfs aber keine Konkurrenzsituation, sagte ein Dekra-Sprecher. Im Januar wurde in Hsinchu/Taiwan ein Prüflabor für das „Internet of Vehicles“ (Dekra-Chef Kölbl) eröffnet. Es ist das bisher größte Labor für das Thema E-Mobilität und vernetztes Fahren. Hsinchu soll nach Kölbls Angaben eine Schlüsselrolle bei der Expansion spielen.

Der Lausitzring ist Überbleibsel eines ehrgeizigen Projekts. Nach der Wiedervereinigung gab es große Pläne für das ehemalige Tagebaugebiet in der Lausitz: Hier sollte ein Motorsportzentrum mit Hotellerie, Gastronomie und einem Freizeitpark entstehen. Die Rennstrecke wurde gebaut und ist bis heute in Betrieb. Dekra war schon damals dabei, angetrieben von dem Rennsportfan Rolf Moll, der in dieser Zeit die zentrale Rolle im Unternehmen spielte. Dekra sollte Betreiber der Strecke werden. Das Land Brandenburg pumpte 125 Millionen Euro in das Projekt, in der Hoffnung, 1500 Arbeitsplätze in der Region schaffen zu können. Daraus wurde in Ermangelung zahlungskräftiger Investoren nichts. 2002 folgte die Pleite – und ein Neustart ohne Dekra; die Stuttgarter konzentrierten sich auf ihr Technikzentrum in Klettwitz.