Bei der Sanierung eines Kriegerdenkmals in Musberg entdecken Arbeiter eine darin eingemauerte Zeitkapsel. Jetzt präsentiert das Stadtarchiv Leinfelden-Echterdingen, was darin gefunden worden ist.

Musberg - Nikolaustag war für Stadtarchivar Bernd Klagholz bereits am 27. Juni. Bei der Renovierung des Musberger Kriegerdenkmals für die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege fanden die Arbeiter eine Zeitkapsel aus dem Jahr 1931 mit Dokumenten, die Aufschluss über das damalige politische und soziale Geschehen im Ort geben.

 

Die Kapsel mit den Dokumenten ist eine grün oxidierte Kupferröhre, die Bürgermeister Gustav Egler (1897 - 1983) mit Zeitdokumenten gefüllt hatte. Optisches Glanzlicht ist eine Panoramaaufnahme des 1931 knapp 900 Einwohner zählenden Ortes. „Ein solches Foto hatten wir bisher nicht. Es besitzt erheblichen Quellenwert, weil es über den Stand der Besiedelung und die Ausdehnung Musbergs im Jahr 1930 Auskunft gibt“, sagt Bernd Klagholz. Das Foto war kaum zu erkennen. Schimmel hatte ihm zugesetzt. Nach der Restaurierung ist es wieder in gutem Zustand.

Postkarten, Geldscheine und ein Werbeflugblatt

Die Zeitkapsel enthielt weitere historische Fotografien wie eine Festschrift des Musikvereins, das Programm zur Weihe des Denkmals, Münzen und Geldscheine aus der Zeit der Inflation, Postkarten von der Denkmaleinweihung, die Friedhofsordnung und ein Werbeflugblatt für Musberg als „Ausflugsort und Mittelpunkt des Wald- und Höhengebiets um Stuttgart“. Ein weiteres Glanzlicht ist das achtseitige Textdokument „Aus schwerster Zeit späteren Generationen zum Gruss!“ des Musberger Bürgermeisters Gustav Egler. Es spiegelt das Leiden eines Verwaltungsfachmanns an den Verhältnissen während der Hyperinflation in der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der Weimarer Republik.

1930 wählten rund 51 Prozent die KPD

Musberg galt wegen des hohen Arbeiteranteils als „Klein-Moskau“. Bei der Reichtagswahl 1930 kam die KPD auf mehr als 51 Prozent, die NSDAP lag bei 4,4 Prozent. Der Ort war arm. „Es gab in den 1920er Jahren eine bemalte Holztafel zum Gedenken. Sie hing in der Kirche und war den Leuten zu wenig“, sagt Klagholz. Weil die Gemeindekasse leer war, musste das Denkmal durch Spenden finanziert werden. Der örtliche Kriegerverein steuerte 600 Reichsmark dazu bei, und arbeitslose Handwerker leisteten bei der Gestaltung unentgeltlich 600 Arbeitsstunden. Herausgekommen ist damals ein schlichter viereckiger Stein ohne Pathos mit der Liste der Gefallenen. Er wurde von einem Eisernen Kreuz gekrönt. Bei der Einweihung an Ostern 1931 mauerten Arbeiter die Zeitkapsel in den Sockel ein. Das Denkmal wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und Mitte der 1950er Jahre zu einem Denkmal für die Gefallenen beider Weltkriege umgestaltet.

„Musberg hatte im Ersten Weltkrieg 59 Tote zu beklagen, gemessen an der Einwohnerzahl war das der höchste Anteil in allen heutigen Stadtteilen von Leinfelden-Echterdingen“, sagt Klagholz.

Der Schultes hat Angst vor dem Bürgerkrieg

Im Dokument schrieb Gustav Egler unter der Überschrift „Besondere Sorgen der Gemeinde“: „400 Arbeiter, die am Ort keine Arbeit finden und ihr Brot auswärts verdienen müssen. Viel Arbeitslose und Kurzarbeiter. Sorge um die Versorgung armer Leute.“ Eine Preisliste zeigt, dass ein paar Schuhe damals 20 bis 30 Billionen, Briefporto 40 Milliarden und eine Schachtel Streichhölzer 100 Milliarden Reichsmark kosteten. Der Stundenlohn eines gelernten Arbeiters betrug 530 Milliarden Reichsmark.

Außerdem, schrieb Egler, gebe es „seelische Not“ durch „Uneinigkeit unter den Einwohnern“ und „vereinliche und politische Zerrissenheit“. Eine Lösung sieht er nicht: „Ein Ausweg durch die gesamte politische Lage nicht möglich, daher weitere Sorgen und Nöte und womöglich Kampf im Innern mit blutigen Folgen.“

Irgendwie scheint ihm jedoch die gemeinsame Anstrengung der Bevölkerung beim Bau des Kriegerdenkmals Mut gemacht zu haben. Am Ende seiner Ausführungen schreibt Gustav Egler: „Wer den Krieg mitgemacht hat, dem Tode zu jeder Zeit in die Augen geschaut hat, hasst den Krieg mit all seinen Nöten und schafft kraftvoll mit am Werke des ewigen Friedens unter den Völkern! Das walte Gott!“

Der Kapselfund kann im Stadtarchiv, Schlossbergweg 17, besichtigt werden. Dazu ist die Anmeldung unter 07 11/9 97 54 08 oder 07 11/9 97 54 09 erforderlich.