In manchen Bundesländern sind während der Pandemie ein Fünftel mehr Menschen gestorben als in den Jahren zuvor. Die Analyse zeigt, woran das liegt – und was uns das für den Winter 2022 sagt.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Wie kommt Deutschland am besten durch den dritten Pandemiewinter? Bei der Diskussion stehen sich wieder „Team Vorsicht“ und „Team Freiheit“ gegenüber. Wer hat die besseren Argumente?

 

Eine Analyse von Daten des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BIB) zeigt: Wo sich möglichst wenige anstecken und möglichst viele geimpft sind, sterben deutlich weniger Menschen. Das gilt für die Jahre 2020 und 2021 und ist im Grunde wenig bekannt – aber trotzdem wichtig, weil Infektionsschutz und Impfen als wichtigste Coronamaßnahmen für das Winterhalbjahr gelten. Insofern überrascht die derzeit intensive Diskussion etwa über Sinn und Unsinn einer Maskenpflicht, wie sie im Infektionsschutzgesetz geregelt werden soll.

Verlorene Lebensjahre sind ungleichmäßig verteilt

Dass in Deutschland während der Pandemie mehr Menschen verstorben sind als in den Jahren davor, ist mittlerweile klar: 2016 bis 2019 starben laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 935 000 Menschen pro Jahr. 2020 waren es 985 000, 2021 etwas mehr als eine Million. Nicht für alle überzähligen Todesfälle ist die Pandemie verantwortlich, zudem sterben schon wegen der alternden Bevölkerung von Jahr zu Jahr mehr Menschen. Allerdings zählte das Robert-Koch-Institut 2020 und 2021 deutschlandweit fast 115 000 an und mit Covid-19 Verstorbene. Es liegt also nahe, dass die Pandemie für einen relevanten Teil der Übersterblichkeit verantwortlich ist.

Doch die verlorenen Lebensjahre sind ungleichmäßig auf Deutschland verteilt. In den ostdeutschen Bundesländern starben vergleichsweise deutlich mehr Menschen; mit Ausnahme Bayerns lag nur in diesem Teil Deutschlands die Übersterblichkeit bei mehr als zehn Prozent. Am höchsten war sie 2020 in Sachsen. Damals starben dort 13,3 Prozent mehr Menschen als in den Jahren davor – „vor allem, weil die Alphavariante von Tschechien recht früh dort ankam“, sagt Sebastian Klüsener vom BIB. In den anderen Bundesländern war das erst Anfang 2021 der Fall. Im zweiten Pandemiejahr starben in Thüringen fast ein Fünftel mehr Menschen als vor der Pandemie.

Rückgänge wie „letztmals zum Ende der DDR“

„Der nationale Durchschnitt verdeckt erhebliche regionale Unterschiede“, heißt es in der BIB-Analyse. Das Institut betrachtet, wie sich die Lebenserwartung in den Bundesländern entwickelt hat. Außer bei Männern in Schleswig-Holstein ist sie während der Pandemie durchweg gesunken, aber wiederum in Ostdeutschland stärker als in Westdeutschland.

Der Wert berücksichtigt auch die Altersstruktur in den jeweiligen Bundesländern und ist mit anderen Zeiten und Ländern vergleichbar. Ein so starker Rückgang wie in Ostdeutschland sei außerhalb von Kriegszeiten sehr ungewöhnlich: „Rückgänge in dieser Größenordnung wurden letztmals zum Ende der DDR verzeichnet“, sagt der BIB-Forschungsdirektor Sebastian Klüsener. Ähnlich stark war der Rückgang laut BIB in England und Wales, noch stärker in Polen und Tschechien.

Warum der Osten besonders leidet

„Die starken regionalen Unterschiede verdeutlichen, dass neben den nationalen Rahmenbedingungen auch regionale Faktoren einen Einfluss auf die Sterblichkeit haben“, so das BIB. In Ostdeutschland steckten sich mehr Menschen an – auch, weil die dort geltenden und von den Landesregierungen verabschiedeten Regeln teils weniger streng waren oder relativ lax ausgelegt wurden. Außerdem sind im Osten die Impfquoten geringer, nicht zuletzt bei den besonders gefährdeten Über-60-Jährigen. Allerdings starben laut BIB während der ersten beiden Pandemiejahre in Ostdeutschland auch mehr Männer zwischen 45 und 70 Jahren.

Frühjahr 2022: mehr Covid-19-Verstorbene als in den Vorjahren

Was heißt das für den Winter? In der Pandemiediskussion spielen die an und mit Covid-19 Verstorbenen derzeit kaum eine Rolle. Dabei starben im März, Juni und Juli 2022 mehr Covid-19-Patienten als in den beiden Vorjahren. Zwar führt die Omikronvariante seltener zu schweren Verläufen. Infolge der sehr hohen Infektionszahlen während der bisher zwei Omikronwellen stieg aber auch die Zahl der Verstorbenen stark an.

Im Herbst und Winter wird es wieder den Ländern überlassen sein, wann und wie stark sie die Coronaregeln verschärfen. Maßgeblich soll „eine konkrete Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems oder der sonstigen kritischen Infrastrukturen“ sein. Ergänzt man das um verlorene Lebensjahre, dann hat das „Team Vorsicht“ gute Argumente auf seiner Seite.