Wenn die heimischen Vögel wieder Nachwuchs haben, fallen viele Jungvögel aus dem Nest – scheinbar. Was viele Tierfreunde nicht wissen: Viele Jungvögel verlassen das Nest freiwillig, obwohl sie noch nicht fliegen können.

Digital Desk: Lena Hummel (len)

Stuttgart - Wer einen Jungvogel auf dem Boden findet, vermutet oft das Schlimmste. Die Konsequenz: Das Tier wird eingepackt und in das nächste Tierheim gebracht. Eine Entscheidung, die nicht immer richtig ist, weiß Antje Pädlow, Leiterin des Tierheims in Filderstadt. Denn: Nicht jeder Jungvogel ist aus dem Nest gefallen, nicht jeder braucht menschliche Hilfe. Gerade jetzt sind wieder viele Jungvögel zu sehen, die scheinbar aus dem Nest gefallen sind. Außergewöhnlich ist das laut Pädlow nicht. Das läge schlicht daran, dass die Vögel gerade wieder Junge haben.

 

Bei den Jungvögeln muss zwischen Ästlingen und Nestlingen unterschieden werden. Ästlinge sind Jungvögel, die das Nest eigenständig verlassen, aber noch nicht flugfähig sind. Sie sitzen schon auf ihren Füßen und warten darauf, am Boden von den Vogeleltern versorgt zu werden. „Manchmal wissen das die Leute nicht und sammeln die Tiere ein“, so die Tierheimleiterin. „Das ist aber schlecht, weil man den Eltern dann die Jungvögel wegnimmt.“

Vögel haben keinen Geruchssinn

Bei Rabenvögeln sei das besonders häufig der Fall. Denn: „Rabenvögel verlassen immer flugunfähig das Nest“ so Pädlow. Außerdem seien sie Menschen gegenüber besonders zutraulich und würden deshalb auch besonders häufig entdeckt. Die Vögel mitzunehmen sei aber „absolut unnötig“. Es könne zwar sein, dass sich die Vogeleltern zwei Stunden nicht blicken lassen, die Jungtiere würden trotzdem gut versorgt.

Deshalb rät die Tierheimleiterin, zunächst nichts zu tun und das Jungtier erst mal zu beobachten. Befindet sich das Tier an einer gefährlichen Stelle, könne es ins Gebüsch in der Nähe gesetzt werden. Die Vogeleltern könnten das Jungtier dann immer noch hören und weiterhin versorgen. Das Gerücht, dass man Jungvögel nicht anfassen darf, stimme im Übrigen nicht: „Vögel haben im Gegensatz zu anderen Tieren keinen Geruchssinn“, erklärt Pädlow.

Wenn die Tiere am Boden sitzen, bestehe natürlich die Gefahr, dass sie gefressen werden, so laufe es aber in der Natur. „Deswegen bekommen Vögel nicht nur ein oder zwei Junge, sondern gleich mehrere“, erklärt Pädlow. Da sei der Verlust schon miteingerechnet. Für Menschen, die einen Jungvogel finden, sei das schwer begreiflich. Sie bringen den Vogel ins Tierheim und stellen dieses vor Probleme. Das Tierheim in Filderstadt sei für Haustiere ausgestatten. Wildtiere müssten anderes gehalten und wieder ausgewildert werden. „Schließlich müssen sie ja auch wieder in der Natur zurechtkommen“, mahnt Pädlow.

Hilfestellung am Telefon

Auf der anderen Seite gebe es aber auch Vögel, die tatsächlich Hilfe benötigen – sogenannte Nestlinge. Dabei handelt es sich um Jungvögel, die noch auf den Unterschenkeln sitzen. Sitzen sie am Boden, sind sie entweder aus dem Nest gefallen oder wurden von Nesträubern aus dem Nest geholt. „Wer einen Nestling findet, sollte sich zunächst umschauen, ob ein Nest in der Nähe ist und den Vogel zurücksetzen“, rät die Tierheimleiterin. Falls das nicht der Fall sei, sei es tatsächlich nötig, das Tier in eine Wildtieraufzuchtstelle oder ins nächste Tierheim zu bringen.

Grundsätzlich rät Pädlow: Wer einen Jungvogel am Boden findet und unsicher ist, ob das Tier tatsächlich in Not ist oder nicht, sollte zunächst telefonisch Rat suchen: „Wir können am Telefon Hilfestellung leisten." Und noch ein anderer Punkt ist der Tierfreundin besonders wichtig: Einem Jungvogel dürfe, wenn es auch gut gemeint ist, auf keinen Fall Wasser eingeflößt werden. Die Luftröhre liege bei den Tieren direkt unter der Zunge. Wer dem Tier, beispielsweise mit einer Spritze, Wasser einflößt, nehme das Risiko in Kauf, dass es an einer Lungenentzündung stirbt. Tatsächlich würden Vögel erst dann Wasser aufnehmen, wenn sie selbst trinken können. „Bis es soweit ist, bekommen die Tiere genug Flüssigkeit über Futterinsekten.“