Islamistische Terroranschläge sind eine reale Gefahr. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl will deshalb die präventiven Ermittlungsbefugnisse der Polizei radikal verschärfen.

Stuttgart - Ulrich Goll fühlt sich in der Diskussion über das Sicherheitspaket von Innenminister Thomas Strobl (CDU) an seine eigene Ministerzeit erinnert. Im Jahr 2007, damals stand der Liberale dem Justizressort vor, habe der damalige CDU-Innenminister Heribert Rech bei der Novellierung des Polizeigesetzes ebenfalls einen „mächtigen Forderungskatalog“ präsentiert. Herausgekommen sei am Ende ein liberales Polizeigesetz, das sich im Wesentlichen als gut erwiesen habe.

 

Auch der aktuelle Gesetzentwurf, findet Goll, schießt an manchen Stellen übers Ziel hinaus. Videoüberwachung sei schon jetzt an Kriminalitätsschwerpunkten möglich. Dass diese zulasten der Bürger ausgeweitet werden müsse, bezweifelt der Freidemokrat. Dagegen hält er die Fußfessel für Gefährder für in Ordnung. „Sinnvolles tragen wir mit, wir machen aber nicht mit, wenn sich ein Innenminister mit wenig sinnvollen Forderungen profilieren will, die – so hört man – schon vom CDU-geführten Justizministerium für verfassungswidrig eingeschätzt werden.“

Wettlauf mit Bayern um das schärfste Polizeigesetz

Eigentlich ist es kaum vorstellbar, dass die Grünen, die in der Vergangenheit bestrebt waren, die FDP als Rechtsstaatspartei abzulösen, ausgerechnet in der führenden Rolle einer Ministerpräsidentenpartei eine für das Land nahezu beispiellose Ausweitung der Überwachungsbefugnisse mittragen. Baden-Württemberg schlösse damit im Wettlauf um das schärfste Polizeigesetz zu Bayern auf. Doch gerade Ministerpräsident Winfried Kretschmann war es ja, der zuletzt im StZ-Interview erkennen ließ, dass er in seiner Partei weniger Bedenken in der Sicherheitspolitik eher mehr schätzt als mehr Bedenken.

Grüne und CDU sind bestrebt, Einvernehmen über Strobls Sicherheitspaket herzustellen. Doch nicht nur die Grünen – als Bürgerrechtspartei – stehen unter Druck. Die Union – als Partei von Recht und Ordnung – scheint gewillt, die innere Sicherheit im Bundestagskampf groß zu plakatieren. „Die innere Sicherheit hat für CDU und CSU oberste Priorität und stellt seit jeher einen massiven Grundpfeiler unserer Politik dar“, heißt es in einer Resolution, die kommende Woche von den Chefs der Unionsfraktionen beschlossen werden soll.

Baden-Württembergs Innenminister Strobl und dessen Staatssekretär Martin Jäger beschreiben den Kampf gegen den islamistischen Terror als Paradigmenwechsel in der Sicherheitspolitik. Der Staat dürfe nicht länger als Bedrohung für den Bürger wahrgenommen werden, sondern als dessen Freund und Beschützer. Und überhaupt gehe es doch um den Schutz der Bürger vor islamistischen Gefährdern und Terroristen.

In der Türkei ist jeder Gülen-Anhänger ein Gefährder

Das mag mit Blick auf islamistische Terroristen stimmen. Doch wer hinaus in die Welt blickt, der erkennt, dass auch einigermaßen gefestigt erscheinende Demokratien plötzlich ein hässliches Antlitz annehmen und der Staat gar nicht mehr so freundlich daherkommt. In der Türkei ist neuerdings jeder Gülen-Anhänger ein potenzieller Gefährder, gilt doch die Gülen-Bewegung inzwischen als Terrororganisation.

Gleichwohl fühlt sich Innenminister Strobl mit seinem Gesetzentwurf rechtsstaatlich auf der sicheren Seite, folgt er doch recht streng dem vor einem Jahr ergangenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeskriminalamtgesetz (BKA-Gesetz). In diesem Urteil akzeptierten die Karlsruher die einschlägigen Überwachungsbefugnisse des BKA im Grundsatz, verlangten aber umfangreiche Nachbesserungen. Zu den rechtsstaatlichen Absicherungen der Überwachungen gehört der Richtervorbehalt.

Dennoch sind die Eingriffe in die Grundrechte erheblich. Das gilt besonders für die heimliche Onlineüberwachung und -durchsuchung. Auf privaten Computern finden sich Tagebücher, Briefe, Arztgeschichten – alles Informationen, die den vom Bundesverfassungsgericht geschützten Bereich der privaten Lebensgestaltung betreffen. Über die Verwertbarkeit oder die Löschung solcher Daten soll das Gericht entscheiden. Gegen diese Form der Überwachung leisten die Grünen Widerstand. Flexibler zeigen sie sich in Sachen Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), welche die Voraussetzung dafür ist, dass die Polizei Nachrichten lesen kann, die über Messenger-Dienste wie Whatsapp verschlüsselt verschickt werden. Das ist der Polizei ein großes Anliegen, die Grünen werden bei der Quellen-TKÜ wohl eher über Details verhandeln.

Darf die Polizei Sicherheitslücken verschweigen?

Informationstechnisch sind Onlinedurchsuchung wie auch Quellen-TKÜ heikel, weil in beiden Fällen heimlich eine Überwachungssoftware auf dem Zielgerät platziert wird. Geschieht dies online mit einem Staatstrojaner, macht sich die Polizei selbst angreifbar, etwa dadurch, dass ihre Software erkannt und umprogrammiert wird. Oder sie nutzt Sicherheitslücken von Betriebssystemen der Hersteller wie Microsoft aus, die sie doch eigentlich im Sinne der auch von Innenminister Strobl propagierten Cybersicherheit offenlegen müssten.

Die Nutzung der Vorratsdatenspeicherung wird möglicherweise vorerst nicht ins Polizeigesetz geschrieben. Zwar steht die präventiv-polizeiliche Erhebung von Kommunikationsverbindungsdaten im grün-schwarzen Koalitionsvertrag, allerdings unter dem Vorbehalt der ausstehenden verfassungsgerichtlichen Prüfung. Bei der „intelligenten Videoüberwachung“ soll eine Software durch die Analyse bestimmter Bewegungsmuster automatisch erkennen, ob Gefahr droht – und in diesem Fall Alarm schlagen. Nach Angaben des SPD-Innenexperten Sascha Binder steht aber eine zuverlässige Software noch gar nicht zur Verfügung. „Da ist das Innenministerium nicht sehr weit.“

Aufenthalts- und Kontaktverbote sowie die Fußfessel für sogenannte Gefährder zielen auf islamistische Gefährder. Das Polizeirecht dient der Gefahrenabwehr. Damit waren bisher konkrete Situation gemeint. Nun geht es um eine personenbezogene Prognose. Was aber genau macht einen Gefährder aus? Darüber, sagt der Grünen-Innenexperte Hans-Ulrich Sckerl, müsse noch geredet werden.