Im Prozess um den fingierten Scheinüberfall auf einen Geldtransporter beschäftigt sich das Gericht mit der Wertermittlung der gestohlenen Luxusuhren. Es gibt große Unschärfen.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm/Drackenstein - Das teuerste Stück, das am 15. Januar aus einem Werttransporter am Autobahnparkplatz der A 8 am Drackensteiner Hang verschwand, ist eine Sonderanfertigung des Modells Audemars Piguet Royal Oak Concept GMT Tourbillon. Im Internet werde so eine Schweizer Luxusuhr für gut 700 00 US-Dollar angeboten, sagte am Montag vor dem Landgericht Ulm der Uhrmachermeister Hermann Fritz aus Meßstetten. Er aber, so Fritz, taxiere den erzielbaren Handelswert auf ungefähr 450 000 Euro. Die 2. Große Strafkammer hat den 72-Jährigen zum Gutachter im Fall des seit September verhandelten fingierten Überfalls bestellt. Nach Einschätzung des Sachverständigen beträgt der Gesamtwert der Beute – insgesamt 728 Schweizer Luxusuhren sowie einige Schmuckstücke – rund acht Millionen Euro. Lediglich 163 Uhren konnte die Polizei bis zu Beginn des Prozesses wieder bei Käufern in ganz Deutschland aufspüren.

 

Fünf Männer im Alter von 31 bis 40 Jahren sind wegen besonders schweren Diebstahls und Vortäuschen einer Straftat angeklagt, unter ihnen die beiden Fahrer der Werttransportfirma, die an diesem 15. Januar abends auf dem Rückweg von einer Uhrenmesse in Unterschleißheim in die Firmenzentrale in Esslingen waren. Alle Angeklagten haben gleich zum Prozessauftakt die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gestanden. Nur an ein Detail mochte sich niemand erinnern: Wohin die 565 Luxusuhren verschwunden sind, die bis heute fehlen. Ein angeheuerter Fahrer aus Berlin sei nie am vereinbarten Übergabeort erschienen, sagten sie unisono. Ein Angeklagter, der den Namen kennt, will ihn nicht sagen – angeblich aus Angst vor der Rache organisierter Hintermänner.

Im Auto nur die teuersten Marken

Nur die teuersten Marken gehörten zur Beute der Uhrendiebe: Rolex, Patek Philippe, Panerai, Rolex, Omega, Bulgari. Die Besitzer waren Handelsfirmen aus Deutschland, Italien, Monaco oder Belgien. Einige von ihnen haben bis heute offenbar Mühe, Herkunft, exakten Typus und nachvollziehbaren Wert der verschwundenen Uhren gegenüber der Versicherung zu benennen. Wie eine leitende Angestellte der Esslinger Transportfirma am Montag dem Gericht als Zeugin sagte, lägen ihrer Kenntnis nach bis heute etwa 50 der wiedergefundenen Luxusuhren wegen ungeklärter Besitzverhältnisse bei der Versicherung mit Sitz in Italien.

Es blieb nicht die einzige Unklarheit dieses Prozesstages. Der Uhrengutachter, beharrlich von der Verteidigerbank aus zu seiner Schätzmethodik befragt, musste starke Unwägbarkeiten in seinen Beurteilungen einräumen. Alle Uhren habe er zunächst nur nach dem Papierwert schätzen können, sagte er dem Gericht, und da sei er nach der Formel Einkaufswert plus 30 Prozent Aufschlag beim Verkäufer verfahren. Als ihm allerdings wiederbeschaffte Uhren durch die Polizei vorgelegt worden seien, habe er sich teilweise stark korrigieren müssen. So habe er auf Papier ein Modell von Audemars Piguet zunächst auf gut 13 000 Euro geschätzt. Als er das Stück aber auf dem Tisch hatte, sah er, „dass sie 18 Karat Gold mit Brillanten hatte“. Wert: rund 50 000 Euro. Von anderen Stücken habe er aufgrund der Meldungen durch die Besitzfirmen angenommen, sie seien neu. Später hätten sie sich aber als „ungetragen“ und teilweise älter erwiesen. Die Folge waren Preisabschläge.

Der Gutachter muss noch einmal vortragen

„Wir wissen gar nichts und arbeiten uns an irgendwelchen Listen ab“, schimpfte einer der Verteidiger. Der Richter Gerd Gugenhan konterte: „Wir gehen aber auch nicht davon aus, dass Säcke mit Kieselsteinen am Drackensteiner Hang umgeladen wurden.“ Der Wert der Diebesbeute hat Auswirkungen auf das Strafmaß. Nächste Woche muss der Uhrengutachter noch einmal und detaillierter vortragen. „Bringen Sie viel Zeit mit“, trug ihm der Richter auf.