Im Schlagerrausch hat die Uhu-Bar der Altstadt-Legende Oskar Müller den „Event des Jahres“ im Rotlichtbezirk gefeiert. Das Lokal unterm Puff, ein öffentliches Wohnzimmer, beweist: Das Leonhardsviertel muss nicht immer nur trostlos sein.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Der breitschultrige Glatzkopf ist Türsteher des Laufhauses quer gegenüber. Für einen Moment verlässt er seinen rot beleuchteten Arbeitsplatz, um in der Uhu-Bar kurz mal was loszuwerden. Ist der kräftige Kerl gekommen, um sich über zu laute Musik zu beschweren? Wird in einer der letzten milden Nächte dieses einzigartigen Sommers zu heftig in der Altstadt bei offenen Fenstern gefeiert?

 

Das Gegenteil ist der Fall. „Macht die Mucke lauter“, bittet er, „voll mein Ding!“ Zu leise würden die Nachbarn ihre Hits spielen. Er wolle bitteschön mehr davon auf der anderen Straßenseite mitbekommen.

In dieser Nacht ist Schlagerparty im Rotlichtviertel, wo Freier einzeln und in Cliquen umherziehen. Ihnen ist egal, dass der „Zug nach Nirgendwo“ fährt und eine Lederlady „tausendmal belogen“ wurde. Uhu-Bar-Chef Oskar Müller, mit 81 Jahren eine Altstadt-Legende, und seine Zwillinge, die den Laden schmeißen, bitten zum Revival-Tanz, zur Früchtebowle und zum Käse-Igel. „Der Event des Jahres“ im Städtle soll’s werden. „Bist du heiß wie ein Vulkan?“ steht auf der Einladung, „dann bist du bei uns richtig.“

Zu später Stunde singt Oskar Hans-Albers-Lieder

Ganz cool hockt der Oskar, der einst in Frankfurt ein Lokal für Zuhälter betrieb, bevor er 2006 die Uhu-Bar übernahm, auf seinem Sofa-Stammplatz am Eingang. Seine Raucherkneipe unterm Puff ist ein öffentliches Wohnzimmer mit den Fotos eines bewegten Lebens an den Wänden. Bei der Schlagerparty lässt sich der Chef gegen 23 Uhr das Mikrofon reichen. Seine Matrosenmütze hat der Uhu-Mann, stolze 1,68 Meter groß, schon aufgesetzt. Will er nun Hans-Albers-Lieder von der Reeperbahn singen, wie er dies manchmal tut? Oskar Müller begrüßt die Gäste und stellt seine Gesangseinlage für später in Aussicht. Erst aber gelte eines, so ruft er laut: „Uuuuuuumsatz!“

Für den Umsatz sind die Zwillinge Klaudia und Kornelia Kacijan zuständig. Meist arbeiten sie hier getrennt. Sie teilen sich die Nächte neben ihrem Bürojob auf. Nicht jeder Gast weiß, dass es seine Lieblingskellnerin quasi zweimal gibt. Bei der Schlagerparty aber sind die Twins beide da und sorgen für Verblüffung.

„Es gibt kein Milieu mehr“, klagt Oskar Müller

Klaudia Kacijan mit slowenischen Wurzeln erinnert sich, wie sie vor etwa vier Jahren die Weinstube Fröhlich gegenüber besuchte. Zum Rauchen ging sie raus auf die Straße. Weil es kalt war, bat sie Wirt Oskar zu sich in die Uhu-Bar, wo man im Innern qualmen darf. Die beiden verstanden sich so gut, dass daraus zwar nicht Oskars fünfte Ehe wurde, aber eine Geschäftspartnerschaft.

Der Wirt, der beklagt, dass es „kein Milieu“ mehr in der Altstadt gibt, ebenso wenig wie die damit verbundene Ehre und Hilfsbereitschaft, fühlte sich langsam zu alt, das Lokal allein zu führen. „Meine Klaudia“, sagt er, werde mal alles von der Bar erben.

Zum Erben gibt’s nicht viel. Immer, wenn er viel Geld gehabt habe, erzählt Oskar, habe er dumme Sachen gemacht. Dass er noch lebt, ist für ihn ein Wunder. In Frankfurt spürte er mal eine Pistole an der Schläfe. Nach der Wahrscheinlichkeit eines langen Altstadt-Lebens hätte er längst „erschossen“und „erstochen“ sein müssen, sagt er. Weil er klein ist, anders als die „Schränke“ des Frankfurter Rotlichtviertels, habe er „mit Grips“ überlebt. Nun steht er in Stuttgart in seiner Uhu-Bar, die über einen gemeinsamen Eingang mit dem Laufhaus darüber verfügt. Junge Kerle begrüßt Oskar etwa so: „Wenn ihr ficken wollt, geht hoch.“ Bei ihm haben Freier nichts verloren. Eine Kordel hängt am Eingang seiner Bar, die nur geöffnet wird, wenn er oder seine Zwillinge sicher sind, dass die Gäste in dieses Biotop passen.

Neue Vielfalt mit Subkultur und Szene

Der 81-Jährige mit der Matrosenmütze ist eines der letzten Originale der Altstadt, die, wie er fürchtet, vor die Hunde geht. „Du kannst nicht immer 17 sein“, dröhnt aus den Boxen. Was sein bestes Alter war? „Zwischen 20 und 30“, antwortet er, „da hatte ich drei Frauen gleichzeitig und Blinky.“ Blinky war sein Hund, benannt nach einem Kronzeugen gegen die Mafia.

Die Uhu-Bar ist in dieser Schlagernacht rappelvoll. Immer mehr kommen, wippen mit, strahlen, tanzen. Die Treppe, die am Eingang zu Oskar und den Zwillingen vorbei führt, knarrt unentwegt. Freier wollen nach oben, kommen aber meist schnell wieder runter. Das Städtle lebt und ächzt unter Menschen- und Drogenhandel. Dazwischen leuchten bunte Orte wie die Uhu-Bar. Die bringen andere Farben zum Rotlicht in ein Viertel, das eine letzte Chance erhält, dank der neuen Vielfalt mit Subkultur und Szene aufzublühen. „Manchmal möchte ich schon mit dir“, singt Roland Kaiser. Man möchte mehr davon – mehr Beweise dafür, dass das Leonhardsviertel nicht nur trostlos ist.