Die Lage im Konfliktgebiet Donbass im Osten der Ukraine ist hochexplosiv, der Waffenstillstand hält nicht mehr. Nun will Russland die „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkennen. Nicht nur Kanzler Scholz reagiert besorgt.

Kiew/Moskau/Brüssel - Der russische Präsident Wladimir Putin will die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk im Osten der Ukraine als unabhängige Staaten anerkennen. Das teilte der Kreml am Montag mit. Ein solcher Schritt könnte den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nochmals gefährlich anheizen.

 

Über seine Pläne informierte Putin Bundeskanzler Olaf Scholz und den französischen Präsidenten Emmanuel Macron am Telefon. Der Kreml kündigte eine Fernsehansprache Putins noch für den Abend an.

Scholz spricht Warnung aus

Scholz warnte Putin nach Angaben seines Sprechers vor der Anerkennung der Regionen. Dies stünde „im krassen Widerspruch“ zum Minsker Abkommen von 2015 zur friedlichen Beilegung des Konflikts in der Ostukraine und wäre ein „einseitiger Bruch“ dieser Vereinbarungen, sagte Scholz demnach in dem Telefonat mit Putin.

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Die prorussischen Separatistenführer in den beiden Regionen hatten Putin zuvor um Beistand im Kampf gegen die ukrainischen Regierungstruppen gebeten. Ebenso wie das russische Parlament forderten sie Putin auf, ihre Unabhängigkeit anzuerkennen. Der russische Sicherheitsrat unterstützte bei einer Sondersitzung die Anträge mit großer Mehrheit.

Moskau widerspricht seit Wochen Einmarsch-Plänen

Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zum Nachbarland Ukraine zusammengezogen. Moskau widerspricht seit Wochen Befürchtungen des Westens, dass ein Einmarsch in die Ukraine bevorstehen könnte.

Der Kreml dämpfte auch Hoffnungen auf ein baldiges Treffen Putins mit seinem US-Kollegen Joe Biden. „Es gibt soweit keine konkreten Pläne dazu“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Laut Weißem Haus in Washington hat Biden einem Treffen „im Prinzip“ zugestimmt. Die Außenminister beider Länder wollen sich am Donnerstag in Genf treffen.

Waffenstillstand hält nicht mehr

Alle Beteiligten im russischen Sicherheitsrat, darunter Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu, hatten sich ebenfalls für die Anerkennung der Regionen Donezk und Luhansk ausgesprochen.

Der Waffenstillstand dort hält angesichts Hunderter Verstöße nicht mehr. Es beschießen sich die Regierungstruppen und prorussische Separatisten.

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Die Separatisten sprachen von massivem Beschuss, Toten und Verletzten, Strom- und Wasserausfällen. Russland behauptete, Geschosse seien auch auf seinem Staatsgebiet eingeschlagen. Nach UN-Schätzungen gibt es in dem seit acht Jahren währenden Konflikt bisher mehr als 14 000 Tote.

FSB-Posten zerstört

Der auch für den Grenzschutz zuständige russische Inlandsgeheimdienst FSB teilte mit, einer seiner Posten im Gebiet Rostow im Süden des Landes sei zerstört worden. Zudem seien mehrere Saboteure von ukrainischer Seite beim Übertritt auf russisches Staatsgebiet getötet worden. FSB-Chef Alexander Bortnikow sagte im Sicherheitsrat, die Lage an der Grenze sei stabil. In der Sitzung zeichnete sich eine Anerkennung der „Volksrepubliken“ ab.

Russland sei sich im Klaren darüber, dass der Schritt angesichts der vom Westen angedrohten Sanktionen ernste Folgen haben werde, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew. Es gebe angesichts der Lage aber keine andere Möglichkeit, als die Gebiete anzuerkennen. Der Druck auf Russland werde beispiellos sein. Die Hoffnung sei, dass sich der Konflikt danach abkühle.

Außenminister Sergej Lawrow beklagte, dass Nationalisten in Kiew das Sagen hätten und die ukrainische Politik dort gegen alles Russische gerichtet sei. Es gebe keine Fortschritte bei der Lösung des Konflikts. Mehrere Redner beklagten, dass der Friedensplan für die Ostukraine von der Regierung in Kiew nicht erfüllt, sondern vielmehr als Druckmittel auf Moskau genutzt werde.

Ukraine fordert von EU Sanktionen

Die Ukraine forderte von der EU unterdessen die sofortige Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland. Kiew erwarte nicht nur politische Botschaften, sondern konkrete Maßnahmen, erklärte Außenminister Dmytro Kuleba am Rande von Beratungen mit den Außenministern der EU-Staaten in Brüssel. Es gebe gute und legitime Gründe, zumindest einige Sanktionen zu verhängen. Klare Unterstützung dafür gab es zunächst allerdings nur aus den baltischen Staaten.

Andere Länder machten hingegen deutlich, dass sie die Zeit für neue Strafmaßnahmen noch nicht gekommen sehen. „Das ist noch nicht die militärische Aggression von Russland, von der wir sprechen“, sagte etwa der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg. Auch der irische Außenminister Simon Coveney sprach sich dafür aus, das Hauptaugenmerk auf diplomatische Initiativen wie die für einen USA-Russland-Gipfel zu legen.

Finanzielle Nothilfen bewilligt

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) äußerte sich in Brüssel zunächst nicht öffentlich zur Sanktionsdebatte. Regierungssprecher Steffen Hebestreit deutete in Berlin an, dass es aus deutscher Sicht bereits unter der Schwelle einer Invasion neue EU-Sanktionen geben könnte. Als Beispiel nannte er Cyberangriffe oder Einsätze russischer Truppen „unter falscher Flagge“.

Baerbock beschrieb die Lage im Osten der Ukraine mit düsteren Worten: „Was wir in den letzten 72 Stunden erlebt haben an Anschlägen, an gewaltsamen Auseinandersetzungen vor Ort, ist wirklich besorgniserregend.“ Zudem sei das Leben der Menschen auch deswegen hochgefährlich, weil Wasser- und Stromversorgung an mehreren Orten zusammengebrochen seien. Dafür trage die russische Regierung die Verantwortung. Sie betreibe ein verantwortungsloses Spiel mit der Zivilbevölkerung.

Um die Ukraine zu unterstützen, bewilligten Baerbock und ihre Kollegen finanzielle Nothilfen der EU in Höhe von 1,2 Milliarden Euro sowie Pläne für einen Ausbildungseinsatz für Offiziere. Letzterer soll es ermöglichen, dass in der Ukraine künftig verstärkte westliche Militärtaktik gelehrt wird.