Russland und die Ukraine haben sich verständigt, „humanitäre Korridore“ einzurichten. Ein Politik-Experte aus Stuttgart erklärt, was sich hinter diesem Begriff genau verbirgt.

Digital Desk: Jonas Schöll (jo)

Die Ukraine und Russland haben sich eine Woche nach Beginn der Kämpfe auf die Schaffung humanitärer Korridore für die Evakuierung von Zivilisten in besonders umkämpften Gebieten der Ukraine verständigt. Das sagten Vertreter beider Seiten am Donnerstag nach einem Treffen.

 

Was sich hinter dem Begriff „humanitäre Korridore“ verbirgt, erklärt Stefan Artmann von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in Stuttgart am Freitag.

Was sind humanitäre Korridore?

Humanitäre Korridore sind eng begrenzte – zeitlich wie regionale – Routen, über die Zivilisten aus Krisenregionen evakuiert oder zumindest mit Hilfslieferungen wie etwa Nahrung, Wasser oder Medikamenten versorgt werden können, erklärt der Experte unter Verweis auf eine Definition der Autorin Sophia Hartmann, die im Jahr 2020 im Werk „Humanitarianism: Keywords“ erschienen ist.

Weiter heißt es dort, dass humanitäre Korridore auf Selbstverpflichtung basieren und keine verbindlichen Regelwerke umfassen. Sie können demnach entweder durch Verhandlungen und Absprachen beider Konfliktparteien umgesetzt oder durch einseitige – meist militärische – Maßnahmen einer Partei erzwungen werden; was das Risiko für die betroffenen Personen erhöht.

Als berühmte Beispiele von humanitären Korridoren gelten der Kindertransport von 1938-1939, bei dem jüdische Kinder aus den von Nationalsozialisten kontrollierten Gebieten ins Vereinigte Königreich evakuiert wurden, die Berliner Luftbrücke der Westalliierten 1948-49 oder auch im Jahr 2011 die Einrichtung von humanitären Korridoren im Bürgerkrieg in Syrien, wie Experte Artmann schildert.

Humanitäre Korridore im Ukraine-Krieg

Welche Form die humanitären Korridore in der Ukraine genau annehmen werden, war zunächst noch unklar. Während der Flucht aus den Kampfgebieten sei eine Feuerpause in der Umgebung der Korridore möglich, teilte der ukrainische Präsidenten-Berater Mychailo Podoljak mit. Anfang kommender Woche wolle man sich zu einer dritten Gesprächsrunde zusammensetzen.

Der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski sprach von einer „möglichen vorübergehenden Einstellung der Feindseligkeiten“ in den entsprechenden Gebieten für den Zeitraum der Evakuierung.

Podoljak sagte, die „humanitären Korridore“ sollten auch genutzt werden, um die Bevölkerung mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Eine flächendeckende Waffenruhe ist offenbar nicht geplant. „Das heißt, nicht überall, aber an den Orten, an denen es diese humanitären Korridore geben wird, wird es möglicherweise für die Dauer der Durchführung dieser Operation eine Feuerpause geben“, sagte Podoljak.

Zunächst war nicht klar, um welche Gebiete es sich handeln soll. Derzeit wird in mehreren Regionen erbittert gekämpft, die heftigsten Gefechte werden nordwestlich der Hauptstadt Kiew gemeldet sowie nahe der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw und der Hafenstadt Mariupol im Süden.