Die Kanzlerin setzt ein Signal mit ihrem Besuch in der ukrainischen Hauptstadt – verbindet dies aber auch mit strikten Erwartungen an ihre Gastgeber. Berlin dämpft überbordende Erwartungen an die symbolträchtige Visite.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Erwartungen schießen ins Kraut. Das sind Aussichten, die Angela Merkel überhaupt nicht behagen. Vor unkalkulierbaren Ereignissen bevorzugt sie die Taktik des Tiefstapelns. Diese Aufgabe hat am Tag vor ihrem Besuch in Kiew Regierungssprecher Steffen Seibert.

 

Es ist eine symbolträchtige Reise: der erste Besuch in der ukrainischen Metropole seit Beginn der Krise. Die Bundeskanzlerin wird dort als Schutzpatronin gegen imperialistische Interessen des großen Nachbarn Russland empfangen. Allein der Umstand, dass Merkel sich zu dieser Reise entschlossen hat, lässt auf eine begrenzte Neigung schließen, russische Empfindlichkeiten allzu wichtig zu nehmen. Der Besuch macht deutlich, auf welcher Seite Deutschland und die Europäische Union in diesem Konflikt stehen. Die Kanzlerin wird aber darauf achten, sich nicht allzu sehr vereinnahmen zu lassen. Die Politik der ukrainischen Regierung ist aus deutscher Sicht keineswegs über jede Kritik erhaben.

Kiew hofft auf einen „Merkel-Plan“

Merkel müsse in der Ukraine „auf einen sofortigen Waffenstillstand drängen“, fordert die Linksfraktion. Bei den Gastgebern sind die Erwartungen noch größer. Kurz vor der heiklen Visite hat sie der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin so formuliert: „Viele sprechen über eine Art Marshall-Plan, wieso nicht eine Art Merkel-Plan?“. Mit Hilfe des Marshall-Plans der Vereinigten Staaten war nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiederaufbau in Westeuropa finanziert worden.

Die Bundeskanzlerin will nach Angaben ihres Sprechers in Kiew über „konkrete Möglichkeiten“ reden, „die Ukraine in der aktuellen Krise zu unterstützen“. Seibert verwies in diesem Zusammenhang aber auf bereits vereinbarte Hilfsprogramme, die unter anderem durch den Internationalen Währungsfonds finanziert werden. Darüber hinaus sei zu prüfen, „ob und in welchem Maße Deutschland Beiträge zum Wiederaufbau leisten kann“.

Warnungen an die Regierung in Kiew

Merkel wird sich unter anderem mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, aber auch mit Kommunalpolitikern aus Donezk und anderen Städten sowie mit Krimtataren treffen. Sie suche den Gedankenaustausch und wolle sich ein Bild von der Lage in den verschiedenen Regionen des Landes verschaffen, heißt es. Merkels vorrangiges Ziel sei ein beiderseitiger Waffenstillstand in der Ostukraine. Voraussetzung dafür seien wirkungsvolle Kontrollen an der russischen Grenze. Dies sei ganz entscheidend, um Waffenlieferungen an die Separatisten zu unterbinden. Seibert wies Erwartungen in Kiew, Deutschland werde auch Waffen liefern, zurück. Aus der aktuellen Entscheidung, Kurden im Irak mit Waffen und militärischem Gerät zu versorgen, lasse sich „kein Automatismus“ für die Ukraine ableiten.

Die Kanzlerin unterstütze Poroschenkos Kurs des nationalen Dialogs, betonte Merkels Sprecher. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, entscheidend sei aber, dass die ukrainische Regierung ihre Versprechungen auch in die Tat umsetze. Man sehe mit Sorge, dass ausgewiesene Experten und Befürworter grundlegender Reformen keinen Rückhalt finden. So hatte der ukrainische Wirtschaftsminister Pawlo Scheremeta am Donnerstag seinen Rücktritt eingereicht und ihn damit begründet, er wolle nicht länger „gegen das System von gestern“ kämpfen. Der Wirtschaftswissenschaftler hatte nach dem Sturz des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sein Amt mit der Ankündigung angetreten, Reformen durchzusetzen und die Korruption zu bekämpfen, die das Land an den Rand des Ruins getrieben hat. Doch konnte er im Parlament, in dem noch viele Janukowitsch-Gefolgsleute sitzen, keine größeren Vorhaben durchsetzten. Poroschenko wird mit einschlägigen Ermahnung zu rechnen haben. In Berlin missfallen das militärische Vorgehen gegen die Separatisten und riskante Provokationen, welche die Regierung zu verantworten hat. Seibert sagte: Deutschland habe immer wieder daran erinnert, man halte es für „nicht ratsam“, im Osten der Ukraine eine militärische Lösung anzustreben. Die Kanzlerin sieht sich nicht als Friedensapostel. Seibert empfiehlt, an ihren Besuch „nicht überspannte Erwartungen“ zu knüpfen.