Abgeklebte Fenster, Kameras, eine Fremde im Krankenzimmer – deutsche Ärzte kritisieren die Zustände in der Klinik.

Berlin - Wenn man Karl Max Einhäupl fragt, wie er die Genesungschancen für die ukrainische Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko einschätzt, dann sieht man jemanden, der sich alle Mühe gibt, nicht allzu pessimistisch zu erscheinen. Der Gesundheitszustand habe sich leicht gebessert, sagte der Vorstandschef der Berliner Charité am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Die 51 Jahre alte Timoschenko habe weniger Schmerzen und könne stundenweise das Bett verlassen.

 

Das ist aber dann auch schon das Ende der guten Nachrichten, die die Ärzte der Charité aus dem Eisenbahnerkrankenhaus in Charkow mitbringen können. Es sei nicht abzusehen, ob unter den herrschenden Bedingungen eine Heilung überhaupt möglich sein werde, sagte Einhäupl. Vor allem die Zustände in der Klinik und die Bedingungen der Haft wurden von ihm als bedrückend geschildert. Derzeit wechseln sich der Neurologe Lutz Harms und die Oberärztin Anett Reißhauer wochenweise in der Behandlung des Bandscheibenvorfalls ab – was sie in Charkow erleben, schildern sie in Therapieberichten, deren Veröffentlichung Timoschenko zugestimmt hat.

Die Oppositionspolitikerin leidet seelisch unter der Situation

Die wegen Amtsmissbrauchs verurteilte und inhaftierte Politikerin leidet offensichtlich seelisch sehr unter der Situation, was die Heilungschancen deutlich verschlechtert. Für Timoschenko sei es ein großes Problem, dass sie in jeder Situation überwacht werde. „Wir sind nie allein mit ihr“, sagte Einhäupl. Die Patientin verbringt ihre Tage in einem Zweibettzimmer im 9. Stock der Klinik. Mit ihr liege eine andere Frau im Zimmer, deren Rolle unklar sei. „Auch Frau Timoschenko weiß nicht, welche Funktion diese zweite Patientin hat“, formulierte Einhäupl vorsichtig. Das Zimmer werde rund um die Uhr von Kameras überwacht, Wachpersonal sei stets, auch bei Untersuchungen, anwesend. Die Fenster des Krankenzimmers seien Tag und Nacht mit Folie verklebt, damit Timoschenko die Umgebung nicht sehe.

Zwei wichtige Verbesserungen konnten die Mediziner inzwischen erreichen: Aus gesundheitlichen Gründen hätten die Behörden es gestattet, dass Timoschenko 15 bis 20 Minuten täglich bei geöffnetem Fenster Tageslicht sehe. Außerdem würden die Videokameras während der Untersuchungen durch die deutschen Ärzte abgeklebt. Allerdings werde dies immer wieder vergessen und müsse dann eingefordert werden. Timoschenko hat laut Einhäupl durch die Erfahrungen ein Misstrauen entwickelt, das aus seiner Sicht nachvollziehbar sei, aber die Behandlung erschwere. Sie habe großes Misstrauen gegen ukrainische Ärzte. Ein Zwischenfall vor einigen Tagen habe dieses geschürt: das ukrainische Fernsehen veröffentlichte ärztliche Unterlagen aus dem Krankenhaus, darunter Aufzeichnungen der deutschen Mediziner. Aus Sorge vor versteckten Kameras lehnt Timoschenko es ab, sich für Untersuchungen oder Therapie zu entkleiden. Sie lasse sich aus Angst vor einer Infektion kein Blut abnehmen. Timoschenko nimmt nur Medikamente, die die deutschen Ärzte mitbringen.

Offensichtlich gibt es keine Fortschritte in der Frage, ob die Politikerin zur Behandlung ausreisen kann. Aber Einhäupl formulierte zwei Wünsche Timoschenkos, die er aus medizinischer Sicht unterstütze: Zum einen wolle sie in die Klinik nach Kiew verlegt werden, wo die medizinischen Voraussetzungen besser seien. Zum anderen wünsche sie sich, unter Hausarrest gestellt zu werden statt in Haft zu sitzen. Dies hatte ein Gericht bereits früher abgelehnt.