Die ukrainische Polizei hat in der Nacht zum Samstag eine Demonstration für einen EU-Kurs des Landes aufgelöst und ist dabei laut Opposition unverhältnismäßig hart vorgegangen. Es habe Dutzende Verletzte auf dem zentralen Unabhängigkeitsplatz in Kiew gegeben.

Brutal treiben Spezialeinheiten der ukrainischen Polizei Hunderte Anhänger eines Westkurses der Ex-Sowjetrepublik auseinander. Doch der massive Einsatz könnte für die Regierung zum Bumerang werden. Aus der Haft ruft Oppositionschefin Timoschenko das Volk auf die Straßen.  

 

Kiew - Wut und Entrüstung in Kiew: Nach einem massiven Einsatz der ukrainischen Polizei gegen EU-Befürworter mit Dutzenden Verletzten bereitet die Opposition neue Proteste vor. „Vereinigt Euch und stellt die Gerechtigkeit in Eurem Staat wieder her. Nehmt die Macht in Eure Hände“, schrieb die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko und rief für diesen Sonntag zu einer Massenkundgebung auf.

Zuvor hatte eine Spezialeinheit der Polizei gewaltsam eine Kundgebung für einen EU-Kurs der Ex-Sowjetrepublik aufgelöst und 35 Menschen vorübergehend festgenommen. EU-Vertreter und die USA kritisierten den Einsatz.

Auch Regierungschef Nikolai Asarow distanzierte sich von dem Vorgehen. „Unsere Aufgabe ist, für Sicherheit und Stabilität im Land zu sorgen“, schrieb der 65-Jährige bei Facebook. Auch die Regierung und Präsident Viktor Janukowitsch seien weiterhin für eine EU-Annäherung. Janukowitsch hatte sich unter dem Druck Russlands geweigert, ein Partnerschaftsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Am Samstagnachmittag versammelten sich erneut Tausende wütende Menschen in der Kiewer Innenstadt.

Asarows Sprecher Witali Lukjanenko sagte der Agentur Interfax, eine Sonderkommission solle die Hintergründe der „Auflösung der friedlichen Demonstration“ aufklären. Die Polizei betonte hingegen, Beamte seien mit Flaschen und Mülleimern beworfen worden. Dabei seien zwölf Einsatzkräfte verletzt worden.

Der Oppositionspolitiker und Boxweltmeister Vitali Klitschko, der bei der Präsidentenwahl 2015 antreten will, rief die EU zu Sanktionen gegen Janukowitschs Führung auf. Die Opposition kündigte zudem an, einen Generalstreik vorzubereiten.

In Kiew hatten bis zu 10.000 Menschen für eine EU-Annäherung demonstriert

Der für die Nachbarschaftspolitik verantwortliche EU-Kommissar Stefan Füle und die US-Botschaft in Kiew zeigten sich besorgt über das Vorgehen der Polizei-Spezialeinheit „Berkut“ (Steinadler), bei dem auch mindestens ein Fotoreporter verletzt worden war. Die Beamten hätten mit Schlagstöcken Dutzende Menschen niedergeknüppelt, berichteten Regierungsgegner.

In Kiew hatten am Vorabend bis zu 10.000 Menschen friedlich für eine EU-Annäherung demonstriert und Janukowitschs Rücktritt gefordert. Danach harrten noch Hunderte trotz klirrender Kälte an Feuern aus, bis die Polizei die Kundgebung auflöste. Die Festgenommenen kamen nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß. Ihnen drohen Geld- oder Arreststrafen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Rowdytums. Hunderte Sicherheitskräfte waren im Stadtzentrum im Einsatz gewesen.

Wie Interfax meldete, trat der Chef der Präsidialkanzlei, Sergej Ljowotschkin, aus Protest gegen den Polizeieinsatz zurück. Als Nachfolger sei Innenminister Witali Sachartschenko vorgesehen, berichtete Radio Liberty. Der Bürgermeister von Lwiw (Lemberg), Andrej Sadowy, warnte die Behörden davor, Proteste in der westukrainischen Großstadt aufzulösen. „Sonst geht in Lwiw die ganze Stadt auf die Straße“, sagte Sadowy. In der russischsprachigen Millionenstadt Charkow im Osten demonstrierten unterdessen Tausende EU-Gegner.

Die Ukraine hatte am Freitag auf dem EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Vilnius auf starken Druck Russlands eine engere Zusammenarbeit und freien Handel mit der EU vorerst abgelehnt. Der zweitgrößte Flächenstaat Europas ist in der Frage einer Annäherung an die EU tief gespalten.