Der ukrainische Menschenrechts-Aktivist Oleg Senzow ist in einem russischen Straflager in Haft. Er ist seit der Fußball-WM im Hungerstreik. Lässt Putin ihn sterben?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Moskau - Rechts neben dem Mann mit den hohlen Wangen und Augen, die einen anschauen und auch wieder nicht anschauen, sind Datum und Uhrzeit der Aufnahme festgehalten: Donnerstag letzter Woche, kurz vor 17 Uhr am Nachmittag. Human Rights Watch hat das Foto verbreitet. Der Raum ist ein Zimmer in der Strafkolonie „White Bear“ im Norden Russlands; der Mann ist Oleg Senzow im Hungerstreik, ein ukrainischer Filmemacher, der seit dem Jahr 2015 zu zwanzig Jahren Lagerhaft in Russland verurteilt worden ist, angeblich wegen „terroristischer Tätigkeiten“, wozu gehört haben soll, dass er seinerzeit gegen die Annexion der Krim demonstriert hat und ukrainische Soldaten mit Lebensmitteln versorgte. Vor der Fußball-WM im Reich von Wladimir Putin ist Senzow in den Hungerstreik getreten. Er wiegt, bestätigt unter anderen eine nahe Verwandte, jetzt weit unter 50 Kilo, sein Puls ist bei 40 Schlägen pro Minute. Wenn nicht bald etwas passiert, wird der vollends isolierte Oleg Senzow wohl sterben.

 

Die Macho-Porträts bei der WM verdrängten das Bild des Häftlings

Die Fußball-WM ist die Zeit der Männersiegerbilder gewesen, und auch wenn die russische Nationalmannschaft nicht weiter gekommen ist als bis ins Viertelfinale, machte der allmächtige Präsident gute Miene zu fast jedem Spiel: Russland hatte 800 000 Fans aus der halben Welt zu Gast, nichts Ernsthaftes passierte, und die Fifa lobte die Logistik vor Ort, zu der gehörte, dass der Präsident unter einem Schirm stand, als nach dem Finale der große Regen kam.

Auch während des Endspiels ist ein Bild von ikonografischem Charakter entstanden. Es ging weit häufiger um die Welt als die Ansicht des todgeweihten Oleg Senzow: Putins Leibfotograf Alexei Nikolsky, dem sich die zahlreichen Macho-Porträts der Vergangenheit verdanken, hatte Emmanuel Macron im Fokus, als dieser beim ersten französischen Tor stehend die Faust reckte. Macron versteht sich auf die Pose, vergisst aber auch nicht auf die Politik. Telefonisch hat er Putin gebeten, „dringend eine humanitäre Lösung“ im Fall Senzow zu finden – und ist damit gewissermaßen Kopf einer Initiative, die 120 Regisseure in „Le Monde“ starteten, spät genug: Godard und Ken Loach haben unter anderen unterschrieben. Es ist ein letzter, verzweifelter Versuch, Oleg Senzows nahenden Tod aufzuhalten.