Reportage: Robin Szuttor (szu)

Als erste Amtshandlung machte Stefanie Dathe Anfang des Jahres aus dem Ulmer Museum das Museum Ulm. „Es gibt viele Ulmer Museen, aber es gibt nur ein Museum Ulm.“ Außerdem klinge es internationaler: Was soll denn ein Amerikaner mit „Ulmer“ anfangen?

 

Sie ist ehrgeizig, sagt man. „Ich bin kein Karrieretyp“, sagt sie, „alle meine Jobs sind auf mich zugekommen.“ Sie ist eine Macherin, sagt man. „Aber kein Kontrollfreak, der nichts aus der Hand gibt“, sagt sie. Sie ist ein Kunstmensch – auch wenn sie aus Mangel an Fantasie nicht mal ein einfaches Bild malen könne. Am Vorabend hat sie sich mit Heideggers Kunstbegriff beschäftigt. Kunst ermöglicht erst den Zugang zur Wahrheit. Durch Kunst ist erst Welt.

Dathe gehört jetzt zu den Honoratioren der Stadt. Sie sieht sich manchmal in den diplomatischen Dienst versetzt. Gremien überzeugen, Verbündete finden: eine neue Erfahrung für die Frankfurterin, die Kunstgeschichte, Philosophie und Völkerkunde studierte, über eine romanische Kirche in Alt-Kastilien promovierte, dann als Kuratorin arbeitete – „immer aus der Position der Freiheit und materiellen Unabhängigkeit heraus“. Sie ist mit einem Bildhauer verheiratet, lebt in einem Dörfchen, gut eine halbe Autostunde von Ulm entfernt. Und da wird sie auch bleiben, wenngleich es schon vorsichtige Fragen gab, ob sie es sich nicht vielleicht doch vorstellen könnte, nach Ulm zu ziehen?

Wunderkammer eines Kaufmanns

Die Villa Rot hat keine Bestände, jede Schau begann quasi im luftleeren Raum. In Ulm muss Dathe nur durch die Sammlungen spazieren, um Ideen zu finden. 60 000 Objekte sind hier zu Hause – von der Enigma-Chiffriermaschine der Nazis bis zum Löwenmenschen vom Lonetal, dem Star der Dauerausstellung. Das älteste Kunstwerk überhaupt, wie Forscher behaupten. Symbol für den menschlichen Geist, der erstmals aus dem Tier hervordrängt.

„Ich werde nicht jedes einzelne Objekt unserer Sammlungen anfassen können, aber ich kann ein Gespür für Highlights bekommen“, sagt Stefanie Dathe. Sie stellt sich gegen den Trend in der musealen Szene, sich lieber Blockbuster von außen zu holen, anstatt was Spannendes aus eigenen Sachen zu machen. Was also nehmen für die erste Sonderschau? Stefanie Dathes Kunstfühler reagierten bei der Wunderkammer des Ulmer Kaufmanns Christoph Weickmannn (1617–1681).

Vor Christus auf dem Palmesel, einem lebensgroßen Meisterwerk aus dem 15. Jahrhundert, liegt ein speckiger Ledergeldbeutel. Ein Besucher muss ihn verloren haben. Doch wer das Portemonnaie aufhebt, hat plötzlich ein schweres Stück Kunst in der Hand. Täuschend realistisch aus Bronze. Und dann steht man da und ist privat in die Schau verwickelt. Am besten das Ding wieder hinlegen. Es wechselt ständig seine Position. Am Morgen liegt es immer woanders als am Abend, wenn das Museum schließt. Die kleine Störung gibt dem ganzen Raum mit Jesus und den Sandsteinfiguren, die seit Ewigkeiten hier stehen, eine frische Note.

Das Gleiche passiert in der Renaissance-Kapelle des Museums. Eine kaum zehn Zentimeter große, tiefrote Kamelienblüte, die scheinbar aus der weißen Wand wächst, verändert alles. Der japanische Künstler Suda Yoshihiro hat die Blume aus Magnolienholz geschnitzt und sorgfältig bemalt. Sie verströmt den leisen Duft von Poesie.

Rot ist vorbei, jetzt ist Ulm.

„Die Villa Rot war ausgereizt“, sagt Stefanie Dathe. Neun Jahre leitete sie das kleine Museum im Oberschwäbischen, machte extravagante Ausstellungen über Fleisch oder Haare und brachte internationales Kunstflair ins Dorf. Seit einiger Zeit hatte sie einen Gedanken im Kopf: Kann ich auch größer? Nächstes Jahr wird sie 50, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus. Habe ich noch Visionen? Den Mut, neu zu denken? Jetzt hat sie sich von 300 auf 4500 Quadratmeter Ausstellungsfläche vergrößert. Seit sie die Tür der Villa Rot zumachte, dachte sie kein einziges Mal zurück. „Wie ein Chamäleon beim Farbenwechsel.“ Rot ist vorbei. Jetzt ist Ulm.

Der Engadiner Künstler Not Vital macht gern Kuhfladen aus Bronze, Spazierstöcke aus rostfreiem Stahl oder Schneebälle aus Muranoglas. Seine Eiskugel im Museum sieht so echt aus – am liebsten würde man drüberstreichen. Dass die nicht schmilzt ohne Kühlung. Ein Wunder!

Lange versuchten der Künstler Chris Eckert und seine Frau vergebens, ein Kind zu bekommen. Dann schaltete seine Schwiegermutter das katholische Online-Netzwerk ein. Fortan beteten weltweit Tausende Unbekannte für das Paar. Eckert konterte diese Aktion mit einer Rosenkranzmaschine. Deren Räderwerk läuft jetzt wie geschmiert, eine Automatenstimme betet in Endlosschleife. Was wohl die Heilige aus Lindenholz davon hält? Die Reliquienbüste ist seit sechs Jahrhunderten in Ulm heimisch und scheint ihrem neuem Nachbarn, dem Gebetsapparat aus Amerika, noch nicht ganz zu trauen. Nur im Profil betrachtet, verwandelt sich die Skepsis um ihren Mund auf wundervolle Weise in ein Lächeln. Ein Lächeln, das alles versteht. Da kann Mona Lisa noch viel lernen.

„Ich bin kein Karrieretyp“

Als erste Amtshandlung machte Stefanie Dathe Anfang des Jahres aus dem Ulmer Museum das Museum Ulm. „Es gibt viele Ulmer Museen, aber es gibt nur ein Museum Ulm.“ Außerdem klinge es internationaler: Was soll denn ein Amerikaner mit „Ulmer“ anfangen?

Sie ist ehrgeizig, sagt man. „Ich bin kein Karrieretyp“, sagt sie, „alle meine Jobs sind auf mich zugekommen.“ Sie ist eine Macherin, sagt man. „Aber kein Kontrollfreak, der nichts aus der Hand gibt“, sagt sie. Sie ist ein Kunstmensch – auch wenn sie aus Mangel an Fantasie nicht mal ein einfaches Bild malen könne. Am Vorabend hat sie sich mit Heideggers Kunstbegriff beschäftigt. Kunst ermöglicht erst den Zugang zur Wahrheit. Durch Kunst ist erst Welt.

Dathe gehört jetzt zu den Honoratioren der Stadt. Sie sieht sich manchmal in den diplomatischen Dienst versetzt. Gremien überzeugen, Verbündete finden: eine neue Erfahrung für die Frankfurterin, die Kunstgeschichte, Philosophie und Völkerkunde studierte, über eine romanische Kirche in Alt-Kastilien promovierte, dann als Kuratorin arbeitete – „immer aus der Position der Freiheit und materiellen Unabhängigkeit heraus“. Sie ist mit einem Bildhauer verheiratet, lebt in einem Dörfchen, gut eine halbe Autostunde von Ulm entfernt. Und da wird sie auch bleiben, wenngleich es schon vorsichtige Fragen gab, ob sie es sich nicht vielleicht doch vorstellen könnte, nach Ulm zu ziehen?

Wunderkammer eines Kaufmanns

Die Villa Rot hat keine Bestände, jede Schau begann quasi im luftleeren Raum. In Ulm muss Dathe nur durch die Sammlungen spazieren, um Ideen zu finden. 60 000 Objekte sind hier zu Hause – von der Enigma-Chiffriermaschine der Nazis bis zum Löwenmenschen vom Lonetal, dem Star der Dauerausstellung. Das älteste Kunstwerk überhaupt, wie Forscher behaupten. Symbol für den menschlichen Geist, der erstmals aus dem Tier hervordrängt.

„Ich werde nicht jedes einzelne Objekt unserer Sammlungen anfassen können, aber ich kann ein Gespür für Highlights bekommen“, sagt Stefanie Dathe. Sie stellt sich gegen den Trend in der musealen Szene, sich lieber Blockbuster von außen zu holen, anstatt was Spannendes aus eigenen Sachen zu machen. Was also nehmen für die erste Sonderschau? Stefanie Dathes Kunstfühler reagierten bei der Wunderkammer des Ulmer Kaufmanns Christoph Weickmannn (1617–1681).

Mit der Renaissance konnte sich die Neugier, im Mittelalter als Sünde verdammt, voll entfesseln. Der Mensch stillte seinen Durst nach Exotik, Erkenntnis, Entdeckung beim Sammeln. Sortierte die geografisch wie gedanklich immer größer werdende Welt einfach neu ein in seinem Kämmerchen. Wenn Weickmann, ein Kaufmann mit guten Kontakten zum Fernhandel, Gäste in seinem Nobelanwesen am Ulmer Hafenbad empfing, führte er sie gleich zu den Attraktionen aus aller Herren Länder: afrikanische Orakelbretter, Meerschnecken-Armreife von den Großen Antillen, indische Krokodile, sogar Mumien und Menschen-Skelette konnte er bieten. 1000 Kuriositäten umfasste die Sammlung.

Ein Monolith aus Mäusen

Das meiste ging über die Jahrhunderte verloren oder kaputt. 80 (sehr wertvolle) Objekte sind übrig geblieben: Das 1650 in Mali gewebte Männergewand gilt als das älteste vollständig erhaltene Textil der Welt. Den drei Meter langen Narwalstoßzahn kann man schon mythisch nennen. Früher dachte man nämlich, er sei das Horn eines Einhorns. Und weil das Fabelwesen zwar seinen Kopf in den Schoß von Jungfrauen legte, sich aber keinem Jäger zeigte, wog die Männerwelt so ein Fundstück vom Strand zehnfach mit Gold auf.

Was kann man den Dingen aus den alten Kabinetten heute zur Seite stellen? Den Turm aus geschichteten toten Mäusen von David Falconer – nicht echt, nur aus Fiberglas. Oder den Wolpertinger für Kunstbeflissene: Thomas Grünfelds Mischwesen aus Giraffe, Strauß und Pferd. Klingt putzig, sieht schaurig aus. Iris Schieferstein holt ihr Werkmaterial aus Schlachthöfen und Tierkörperbeseitigungsanlagen, baut sich daraus wie Frankenstein neue Kreaturen und legt sie in Formaldehyd ein. Nick Veasey ist auf Radiologie spezialisiert. Also schickte ihm Dathe zwei historische Puppen zum Röntgen. Jetzt sind sie bis zu den Schenkelscharnieren durchleuchtet. Neue Kunst mit altem Spielzeug.

Im letzten Raum der Schau hängen eine große Ulmer Zunfttafel und das wandfüllende Gemälde einer Kaufmannsfamilie aus dem 18. Jahrhundert. Mitten im Raum sitzt ein Knochenmann aus Swarovski-Steinen im Schneidersitz und dreht der Szenerie die Nase. Das Kunstwerk von Nicola Bolla ist von 2008, führt aber schnurstracks in die Welt der Barockdichter, die bereits alle irdische Eitelkeit entlarvten: „Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?/Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?/Ein schnöder Schein in kurz gefassten Grenzen/Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht.“

Am Schluss kriegt Gevatter Hein doch jeden. Diese Botschaft kann der Besucher als Abschiedsgruß mit nach Hause nehmen. Ein echter Rausschmeißer.