Warum Schiller-Balladen lesen? Der Schauspieler Ulrich Matthes erstickt die Frage im Keim: Mit höchster Sprechkultur und genau dosierter Darstellungskraft fesselt er im Stuttgarter Schauspielhaus das Publikum.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Was ihn auf die Schiller-Balladen brachte? Obwohl der Vater ihn damit einst sehr genervt hätte? Natürlich der Reichtum der Sprache, die Dynamik der Verse, die kraftvollen Bilder. Aber dann geht es doch eben auch um Haltung: „Die Schiller-Verse sind schon hochmoralisch. Aber eher subkutan, dass man es nicht sofort merkt.“

 

Ulrich Matthes, einer der besten deutschen Schauspieler, daheim am Deutschen Theater in Berlin, ist am Sonntagabend im Stuttgarter Schauspielhaus zu Gast. Hundert Minuten lang fesselt er das Publikum mit dem „Handschuh“ und der „Bürgschaft“, mit den „Kranichen des Ibykus“ und – ja, auch mit der „Glocke“. Nein, dieses Programm, an dem er seit einigen Jahren arbeitet, trägt er nicht auswendig vor und mit großer Geste, Pathosgesten sind ihm völlig fremd, sondern am Tisch sitzend, mit Mikrofon und Manuskript. Aber die Zuhörer sind von der ersten Minute an gefesselt. Rascheln oder Husten? Nix da.

Das Finale ist glänzend bedacht

Matthes vereint höchste Sprechkultur mit genau dosierter Darstellungskraft. Beim „Handschuh“ und beim „Taucher“ hält er sich noch zurück, orientiert sich stark am Rhythmus der Verse – und offenbart gerade so deren wunderbaren Fluss, diesen Schiller-Groove, der ja Komiker und sonstige Humoristen schon zu Trilliarden von Parodien gereizt hat, der aber doch einfach, wenn man ihn denn wirklich respektiert und nachempfindet, beim Zuhören regelrechte Glücksgefühle hervorrufen kann. Spätestens bei der „Bürgschaft“ zeigt sich der Gast dann aber doch als ganzer Schauspieler, da reizt er die Dramatik aus; ein glänzend bedachtes Finale, das ein hoch dankbares Publikum geradezu beschwingt in die Nacht entlässt – das dann vielleicht doch später noch stutzt und sich fragt: War das jetzt wirklich alles? Nur Schönheit?

Nun: Nicht nur Friedrich Schiller mag Meister der subkutan verabreichten Moral zu sein; auch Ulrich Matthes ist es. Ja, er widmet sich konzentriert der Dichtkunst, ohne draufgebappte Losung. Und erzählt dann doch wie nebenbei von der Schriftstellerin Ruth Klüger, die einst schrieb, die Schreckensjahre im KZ Auschwitz auch deshalb überlebt zu haben, weil sie sich dort aus dem Gedächtnis Schiller-Verse aufgesagt habe. Schiller, so die maximal unpathetische Klüger-Formulierung, sei für sie damals „brauchbar“ gewesen. Und ohne weiteren Kommentar lässt Ulrich Matthes diesem Hinweis das kurze Gedicht „Hoffnung“ folgen mit den abschließenden Versen: „Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn, / Erzeugt im Gehirne des Toren. / Im Herzen kündet es laut sich an, / Zu was Besserm sind wir geboren! / Und was die innere Stimme spricht, / Das täuscht die hoffende Seele nicht.“ Punktum.