Nicht nur im Bus müssen Frauen weichen. Ultraorthodoxe Juden forcieren die Geschlechtertrennung in Jerusalem - doch jetzt regt sich Widerstand.

Jerusalem - Auf den Treppenstufen, die runter zum Kulturzentrum Gerard Bechar führen, drängen sich die Zaungäste. Von dort haben sie die beste Sicht auf die Tänzer hinter den Fensterscheiben der Ballettschule, die seit mehr als fünf Jahren in dem Haus untergebracht ist. Es regnet an diesem Jerusalemer Novemberabend. Aber draußen herrscht eine angeregte, gespannte Stimmung wie bei einer Premiere. Und um eine solche handelt es sich auch. Erstmals hat die Tanzschule Kolben die blickdichten Vorhänge hochgezogen, die sonst stets runtergelassen blieben - aus Rücksicht auf die ultraorthodoxen Juden in der Nachbarschaft. Die schläfengelockten "Gottesfürchtigen", die Haredim, wie sie sich auf Hebräisch nennen, könnten sich ja am Anblick von Frauen in engen Tanztrikots, womöglich gar in einer gemischten Gruppe mit Männern, stören.

 

Deren eifernde Vorhut kämpft zunehmend aggressiv für Geschlechtertrennung und Sittenstrenge in Jerusalem. Sfira Stern-Assal, die Managerin der Kolben-Tanzgruppe, kann ein Lied davon singen. Anonyme Anrufe, lautes Pochen an die Fenster und Anpöbeleien auf der Straße mit der gezischten Drohung "Wir kriegen euch hier raus", das erleben Stern-Assal und ihre Tänzer seit Jahren. Jetzt haben sie beschlossen, in die Offensive zu gehen. "Man kann nicht immer nur nachgeben", sagt Stern-Assal. "Wir müssen auf unser Recht pochen." Und deshalb bleiben seit Beginn dieser Woche die Vorhänge oben.

Dass das für die Haredim eine echte Provokation ist, weiß Sfira Stern-Assal nur zu gut. Ihre Angst, was geschehen könnte, wenn nicht mehr täglich Freunde und Unterstützer zum Zuschauen kommen, will sie auch gar nicht leugnen. "Wir alle hier stehen unter ungeheurem Druck." Aber ihre Courage ist größer. Nicht zuletzt dank der Bewegung Jeruschalmim, die aktiv für Pluralismus in Jerusalem eintritt, für leben und leben lassen. "Damit junge säkulare Familien hier wohnen bleiben", wie es Uri Ayalon, der Mitbegründer von Jeruschalmim, ausdrückt.

Auf Plakaten sind nur Männer abgebildet

Der Trend unter den Nichtreligiösen, die ihnen zu "heilig" gewordene Stadt gegen das pulsierende, quicklebendige Tel Aviv einzutauschen, hat Jerusalem in den vergangenen Jahren ein negatives Wachstum beschert. Von den 800.000 Einwohnern ist inzwischen jeder Vierte ultrafromm, Tendenz steigend. In den von ihnen benutzten Linienbussen müssen weibliche Fahrgäste hinten sitzen, die vorderen Plätze sind Männern vorbehalten. Das Oberste Gericht hat zwar eine solche Praxis als diskriminierend abgelehnt, aber selbst ultraorthodoxe Frauen verteidigen die Segregation vehement. So beschrieb die israelische Journalistin Judith Rotem in "Haaretz" eine Szene, wie sie und ihre Freundin zum Verdruss anderer Fahrgäste sich im Bus vorne niederließen. "Ihr sitzt auf den Plätzen der Männer, macht ihnen Platz", hätten sich die religiösen Frauen erbost.

Auch auf manchen Bürgersteigen des ultraorthodoxen Stadtviertels Mea Schearim setzt sich schleichend eine Geschlechtertrennung durch. Das jüdische Laubhüttenfest bot den Haredim unlängst Gelegenheit, Wege zur Synagoge per Vorhang entsprechend zu trennen. Problematischer ist, wenn die Frommen ihre Vorstellungen von züchtigem Verhalten ganz Jerusalem aufdrücken. So sind seit Jahren auf kommerziellen wie städtischen Werbetafeln in Jerusalem keine Frauen mehr abgebildet. Offenbar will man den Religiösen eine solche Zumutung ersparen.

Dagegen hat die Bewegung Jeruschalmim eine eigene Kampagne lanciert. Ihre Poster, befestigt an privaten Balkonen und Fenstern, zeigen ganz normale Frauen. "Auch wir sind gegen Frauen als Sexobjekte", erklärt Ayalon den Sinn der Aktion, "aber wer sie aus der Öffentlichkeit verbannt, sieht in ihnen nichts anderes als Objekte der Verführung."

Das findet auch Idit Karni, die mit ihren beiden Töchtern im Alter von acht und zehn Jahren auf einem der Plakate zu sehen ist. Die Mädchen wollten unbedingt mitmachen. "Sie haben dabei viel fürs Leben gelernt", sagt die Mutter. Vor allem, sich nicht von religiösen Fanatikern einschüchtern zu lassen. "Die", sagt sie, "schaden sich am Ende doch nur selbst."