Siemens gliedert die Medizintechnik aus - eine Ertragsperle. Die Branche steht vor einem fundamentalen Wandel. Und diesmal wollen die Münchner nicht zu spät kommen.

München - Wenn Siemens Geschäfte ausgliedert, ist das für das Personal oft nicht gut gegangen. Bei der jetzigen Abspaltung der Medizintechnik sollte sich ein Schicksal wie bei BenQ (Handy-Geschäft), NSN (Telefonnetzwerke) oder Osram (Licht) besser nicht wiederholen. Der Bereich ist mit zwölf Milliarden Euro Umsatz und 44 000 Beschäftigten, davon 13 000 Mitarbeitern hierzulande, ein großer Brocken. Viel steht auf dem Spiel, was Konzernchef Joe Kaeser bewusst ist. Er hat das Debakel mit der Telekommunikation hautnah miterlebt, die einmal das Herz von Siemens war und heute unter anderen Eignern nur noch in kümmerlichen Resten weiterexistiert.

 

Nun steht Med, wie der Teilkonzern intern heißt, vor großen Umwälzungen. „Es darf uns nie wieder passieren, dass wir einen Paradigmenwechsel dieser Tragweite so falsch einschätzen“, sagt Kaeser. Der Wandel bei Med kommt aus drei Richtungen. Geschäftsmodelle ändern sich, revolutionäre Technologie stehen am Horizont und neue Wettbewerber machen sich breit. Die Grundzüge einer darauf zugeschnittenen Strategie hat Bernd Montag soeben umrissen und drei Wachstumsfelder identifiziert. Für den neuen Chef der im Mai gegründeten und ab Oktober selbstständigen Healthcare GmbH sind das molekulare Diagnostik, Therapie und neue Dienstleistungen. Nimmt man alle drei Stoßrichtungen, verändert Med damit sein Geschäftsmodell des Gerätelieferanten.

Man will rasch an die Börse und Gelder einsammeln

Stichwort Molekulardiagnostik: Die revolutionäre Technologie hat das Ziel, eine Klinik und die ganze Medizin vom Reparatur- zu einem Wartungs- und Vorsorgebetrieb zu machen. Blicke in das Erbgut sollen künftig vorwarnen, wenn ein gesunder Mensch eine Krankheit zu entwickeln droht. Gelingt das bei Geißeln wie Alzheimer, wären Vorteile für Betroffene und Kostenersparnis enorm. „Es geht immer weniger um die Behandlung kranker Patienten, sondern um Vermeidung von Krankheiten bei Risikogruppen sowie rasche Rehabilitation“, betont Montag.

Siemens forscht intensiv zum Beispiel an Erkennung von Lungenkrebs per Analyse von Atemluft. Aktiv sind aber auch viele Start-ups. Wer das Rennen macht und zum Beispiel herausfindet, welche genetische Veranlagung Herzinfarkte begünstigt, ist offen. Eventuell muss Med einmal teuer zukaufen, um sich Technologie zu sichern. Die Sparte wird auch ausgegliedert, um notfalls rasch an die Börse gehen und Geld einsammeln zu können.

Stichwort Kostendruck: Weil vor Hightech-Medizin strotzenden Gesundheitssystemen das Geld ausgeht und viele Klinken vor der Pleite stehen, schließen sie sich zu Ketten zusammen, um billiger zu wirtschaften. Das klinisch Notwendige muss künftig reichen, weil das technisch Mögliche unbezahlbar wird. Am größten ist der Druck in den USA, wo der Gesundheitssektor 17 Prozent des Bruttosozialprodukts verschlingt. Elf Prozent sind es in Deutschland. Zugleich wollen aufstrebende Nationen wie China ihre Gesundheitsleistungen verbessern, können sich das mit heutiger Medizintechnik aber nicht leisten.

Siemens will zum Berater von Kliniken werden

Komplizierte Geräte müssen neu erfunden werden – billig und leicht zu bedienen, um zum Beispiel eine Röntgenabteilung outsourcen zu können. „Good-enough-Technologie“, nennt Gregor-Konstantin Elbel solche Geräte. Gut genug für den Klinikalltag aber nicht überzüchtet, beschreibt der Branchenexperte der Beratungsfirma Deloitte die neuen Anforderungen. Für Hightech-Anbieter wie Siemens sei es schwer, so etwas unter dem Dach der eigenen Marke anzubieten.

Stichwort Service: Bislang versteht die Branche das primär als Gerätewartung. Siemens will nun verstärkt zum Berater von Kliniken werden und Erfahrungen mit erfolgreichen Vorzeigekunden anonymisiert weitergeben. Dahinter verbirgt sich eine Änderung des Geschäftsmodells, die vor allem vom US-Markt ausgeht, erklärt Elbel. Bezahlt werden sollen nicht mehr einzelne Untersuchungen, sondern Behandlungserfolge, für die die Gerätehersteller geradestehen müssen.

Betriebsrat und IG Metall stützen die neue Strategie

Dazu kommt ein Rennen um die riesigen bei Therapien gewonnenen Datenmengen. Digital verknüpft bergen sie enormes Erkenntnispotenzial. Die große Frage ist, ob Firmen wie Siemens diese Daten sammeln und auswerten oder Google & Co. „Eine andere Kultur zieht in die Branche ein“, sagt Elbel. Es bestehe die Gefahr, dass neue Wettbewerber sie rascher und besser umsetzen als traditionelle Platzhirschen. Davon dürfte entscheidend abhängen, wie der Wandel für die Siemensianer ausgeht.

Derzeit stützen Betriebsrat und IG Metall die neue Strategie. „Es geht diesmal ausdrücklich nicht um einen Stellenabbau und auch nicht um ein Kostensparprogramm“, sagte Med-Betriebsratschef Wolfgang Fees jüngst den „Nürnberger Nachrichten“. Im Fokus stehe vielmehr der Aufbruch in ein neues Zeitalter. „Siemens kann künftig besser auf die veränderten Bedürfnisse seiner Medizintechnikkunden reagieren“, findet Elbel. Aber die Konkurrenz schläft nicht. Damit ist nicht nur US-Hauptwettbewerber General Electric gemeint. Auch Philips hat die eigene Medizintechnik radikaler als Siemens in einen Zweitkonzern abgespalten, während die Münchner maximal Minderheitsanteile abgeben wollen.

Dazu droht neue Konkurrenz. Ein Großkonzern wie Samsung drängt in die Branche. Ein PC mit angestöpseltem Schallkopf plus App ist ein Ultraschallgerät, beschreibt ein Insider sich abzeichnende Gefahren. Siemens begegnet dem Wandel aus einer Position der Stärke. Zuletzt hat Med als Ertragsperle gut zwei Milliarden Euro zum Jahresgewinn beigesteuert. Ein Garant für neue Erfolge ist das nicht. „Große Marken verschwinden und gestern noch unbekannte Unternehmen sind auf einmal globale Marktführer“, weiß Kaeser. Die Operation Medizintechnik soll genau das verhindern.