Die Hans-Böckler-Stiftung hat sich in einer umfangreichen Erhebung mit dem Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beschäftigt. Überraschende Erkenntnisse gibt es beim Thema Migration am Arbeitsplatz.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der seit zehn Jahren anhaltende günstige Konjunkturverlauf befördert eine enge Partnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Betrieb. Dies zeigt eine branchenübergreifende Umfrage des Forschungsinstituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung unter 2400 Betriebsräten. Die unserer Zeitung exklusiv vorliegende Erhebung wurde repräsentativ in Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten durchgeführt. Erhoben wurden die Daten bereits im Vorjahr – die Auswertung wurde jedoch erst jetzt abgeschlossen.

 

Demnach bewertet fast zwei Drittel aller Betriebsräte das Verhältnis zum Arbeitgeber als sehr gut (9,6 Prozent) oder gut (51,4) – gerade in kleineren Firmen. Noch 28,2 Prozent bezeichnen es als befriedigend. Lediglich jeder zehnte Betriebsrat findet es ausreichend (7,3) oder mangelhaft (3,5). Etwas skeptischer ist die Einschätzung dort, wo die Firma nicht an einen Branchentarifvertrag gebunden ist.

Ryanair werden Betriebsräte aufgezwungen

Die vom Gesetzgeber vorgegebene vertrauensvolle Zusammenarbeit wird somit in den meisten Betrieben konsequent gelebt. Etwa die Hälfte der befragten Betriebsräte gibt an, dass sie vom Arbeitgeber nie in ihrer Tätigkeit behindert werden, und in 41 Prozent der Betriebe geschieht dies „manchmal“. Lediglich in fast jedem zehnten Betrieb kommt es zu „häufigen“ Behinderungen – wo es keine Tarifbindung gibt, sind gut 14 Prozent davon betroffen. Den landläufigen Verdacht, dass die Betriebsräte in tarifgebundenen Firmen eher „auf Krawall gebürstet“ seien, weist der für die Auswertung der Studie verantwortliche WSI-Forscher Helge Baumann zurück. Vielmehr „sind die grundlegenden Spielregeln dort schon mal aufgestellt, sodass in der Folge konkrete Probleme geregelt werden können.“

Offen ist, wie lange das gedeihliche Miteinander der Betriebspartner Bestand hat: „Zunehmend werden Fälle berichtet, in denen Unternehmen Betriebsräte und deren ordnungsgemäße Wahlen gänzlich zu verhindern versuchen“, schränkt Baumann die Ergebnisse selbst ein. „Die betriebliche Mitbestimmung wird somit gleich von zwei Seiten bedroht.“ Diese Kritik zielt nicht zuletzt auf internationale Konzerne: Zuletzt hatte sich die irische Fluggesellschaft Ryanair geweigert, Betriebsräte zuzulassen. Auf Druck der Gewerkschaft Verdi beschloss das Bundeskabinett daher am vorigen Donnerstag eine Betriebsratsgarantie, damit Kabinencrews auch in Billigflug-Airlines seine Interessen vertreten können. Die aus den siebziger Jahren stammende Ausnahmeregelung im Betriebsverfassungsgesetz für das fliegende Personal sah bisher das Einverständnis des Managements dafür vor.

Fremdenfeindlichkeit hat kaum Chancen im Betrieb

An den herausragenden Anliegen der Beschäftigten zeigt sich, dass der klassische individuelle Konflikt noch immer den Alltag der Betriebsräte dominiert. Dies gilt sowohl für Probleme mit Vorgesetzten als auch im Kollegenkreis. „Gerade für Arbeitgeber ist es sinnvoll, in der betrieblichen Interessenvertretung einen Mediator vorzufinden, der im besten Fall im Konfliktmanagement geschult ist und Missverständnisse ausräumen kann“, sagt Baumann.

Obwohl der Flüchtlingszuzug seit 2015 die politische Agenda beherrscht, spielen Nationalitätskonflikte am Arbeitsplatz erfreulicherweise eine untergeordnete Rolle. Laut dem Betriebsverfassungsgesetz muss jegliche Benachteiligung von Kollegen wegen ihrer ethnischen Herkunft, Nationalität, Religion oder Weltanschauung unterbleiben – dies wird in aller Regel eingehalten. „Probleme, die sich vage mit dem Themenfeld Migration umschreiben lassen, treten noch relativ selten auf“, stellt Baumann fest. „Doch sollte nicht vernachlässigt werden, dass immerhin acht Prozent aller Betriebsräte angaben, dass sich Beschäftigte in den letzten zwei Jahren mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit an sie gewandt haben.“

Trendthemen: Arbeitszeit, Arbeitsschutz, Gesundheitsförderung

Drei Trendthemen offenbart die Studie: Demnach regeln die Betriebsparteien zunehmend Probleme mit der Arbeitszeit, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung sowie mit psychischen Gefährdungsbeurteilungen. Vereinbarungen dazu werden vermehrt in Unternehmen neu abgeschlossen, in denen hochqualifizierte Beschäftigte die Arbeitnehmerrechte vertreten.

Insgesamt werden die Themen Arbeitszeit und Datenschutz im Zuge der Digitalisierung am häufigsten reguliert. Bei der Arbeitszeit gibt es gute Mitbestimmungsmöglichkeiten des Betriebsrats, sodass gerade zu Arbeitszeitkonten, Mehrarbeit oder Urlaubsregelungen neue Vereinbarungen abgeschlossen werden. „Viele der Felder, mit denen sich Betriebsräte im Alltag konfrontiert sehen, haben mit der Arbeitszeit zu tun“, sagt Baumann. Der Grund: eine zu geringe Personalstärke, Flexibilitätsanforderungen der Unternehmen oder Arbeitsverdichtung üben einen wachsenden Leistungsdruck auf die Beschäftigten aus. Auf der anderen Seite treten viele Mitarbeiter ihrerseits mit dem Wunsch nach flexiblen Arbeitszeiten an den Betriebsrat heran. „Dies zeigt, dass die Flexibilisierung von Arbeitszeiten für Betriebsräte ein zweischneidiges Schwert ist“, so der Forscher.

Nur neun Prozent aller Betriebe haben einen Betriebsrat

Generell steht das Kräfteverhältnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern allerdings auf brüchigen Fundamenten, denn die Tarifbindung in Deutschland lässt kontinuierlich nach. Dies hat Auswirkungen auf die Existenz der Betriebsräte: Nach einer Erhebung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) haben etwa neun Prozent aller Betriebe einen Betriebsrat. Waren 2010 noch 44 Prozent aller Beschäftigten in diesen Betrieben tätig, so sank dieser Anteil bis zum vorigen Jahr auf 39 Prozent.