Die Deutschen mögen Frankreich, aber nicht dessen Präsidenten. Und sie rücken immer mehr von den USA ab, befürworten zum Teil sogar einen Wechsel der Allianz. Eine Umfrage zeigt ein überraschendes Bild zur außenpolitischen Lage.
Stuttgart - Seit mehr als 70 Jahren ist es unumstößlicher Bestandteil des deutschen Denkens, dass das Land fest verankert ist in die Gemeinschaft westlicher Staaten. Da mag es Streit geben um die Finanzierung des Verteidigungsbündnisses Nato, doch die prinzipielle Notwendigkeit und die Zugehörigkeit Deutschlands steht nicht in Frage. Da mag es in Brüssel und Straßburg harte Auseinandersetzungen in den Details geben, aber dass Deutschland ein Kernbestandteil der Europäischen Union ist, das wird nicht ernsthaft bestritten. Eine Umfrage der Körber-Stiftung bringt jetzt aber an den Tag: Nur eine knappe Mehrheit der Deutschen befürwortet die Zugehörigkeit zur westlichen Wertegemeinschaft.
Gerade einmal 55 Prozent der Bundesbürger halten das System, wie es heute ist, für gut und sinnvoll. 31 Prozent der Deutschen bevorzugen eine außenpolitisch neutrale Haltung ihres Landes, sieben Prozent wünschen sich sogar eine Annäherung an andere Länder oder Wertegemeinschaften. Das zeigt die repräsentative Umfrage „Einmischen oder zurückhalten?“ der Stiftung, die am Dienstag vorgestellt wurde. Für eine von den USA unabhängigere Außen- und Sicherheitspolitik wäre eine Mehrheit von 52 Prozent der Befragten sogar bereit, mehr als doppelt so hohe Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung in Kauf zu nehmen.
Der Blick aus den USA heraus ist anders
Während die deutsche Zustimmung zum großen Partner jenseits des Atlantiks kontinuierlich sinkt, ist der Blick vom amerikanischen Kontinent in Richtung Berlin weniger getrübt. 75 Prozent der Amerikaner empfinden die Beziehungen als gut oder sehr gut, so das Ergebnis einer Paralleluntersuchung. Das sind fünf Prozent mehr als im Jahr zuvor. Im Gegensatz dazu sind 64 Prozent der Deutschen der Ansicht, das Verhältnis zu den Amerikanern sei schlecht oder sogar sehr schlecht.
In einer sich wandelnden Welt geben gerade noch 39 Prozent der Bevölkerung an, dass die Beziehungen zu Washington wichtiger seien als zu Moskau. Auf China bezogen glaubt mit 50 Prozent nur die Hälfte der insgesamt 1000 Befragten, dass die Beziehungen zu den USA für Deutschland von größerer Bedeutung seien. Ein klares Bekenntnis zum Westen sehe anders aus, schlussfolgert die Stiftung. Nora Müller, die Leiterin des Bereichs Internationale Politik sieht „Anlass zur Sorge“.
Als wichtigsten Partner insgesamt bezeichnen 60 Prozent der Deutschen das Nachbarland Frankreich. Damit ist Paris Spitzenreiter in der öffentlichen Meinung. Nicht aber der französische Präsident Emmanuel Macron. Gerade einmal 17 Prozent glauben, dass er am meisten für die EU getan hat. 56 Prozent billigen dies Kanzlerin Angela Merkel zu.
China spaltet die Gemüter
Im Umgang mit China besteht Uneinigkeit: Auf der einen Seite begrüßten 60 Prozent eine verstärkte Zusammenarbeit mit China, doch nur neun Prozent sehen Pekings wachsenden Einfluss als positiv. Der Anteil derjenigen, die hierin einen Negativtrend sehen, ist im Vergleich zu 2018 sogar von 42 auf 46 Prozent gestiegen. Darüber hinaus würden 76 Prozent der Deutschen begrüßen, wenn Berlin gegenüber Peking stärker für seine Interessen, beispielsweise in Menschenrechtsfragen, einstünde, auch wenn dies wirtschaftliche Einbußen nach sich zöge.
Seit 2014 fragt die Stiftung die Einstellung der Deutschen zur Außenpolitik ab, die größte Veränderung gab es in diesem Jahr beim Thema Klimawandel. 31 Prozent der Befragten sehen dort die größte Herausforderung. 2018 waren es gerade einmal fünf Prozent. Zugleich empfindet knapp die Hälfte der Befragten (48 Prozent), Deutschland sei in Europa Vorreiter in der Bekämpfung des Klimawandels. 36 Prozent sehen Deutschland hingegen eher als Bremser in Sachen Klimaschutz.