Fast 60 Prozent der deutschen Warenexporte gehen in das EU-Ausland. Kein Wunder also, dass sich die Mittelständler um den Fortbestand der EU sorgen. In der Rangliste der Herausforderungen taucht der Mangel an Fachkräften – als originäres Wirtschaftsthema – erst auf Platz fünf auf.

Stuttgart - Der deutsche Mittelstand sorgt sich stärker um die Zukunft von Europa als um den Fachkräftemangel. Dies ist das Ergebnis einer bundesweiten Unternehmensbefragung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) an der Universität Tübingen. Rund drei Viertel der Mittelständler bezeichnen den Zusammenhalt in der EU als größte Herausforderung. Weitere Probleme für sie sind die Verschuldung der Mitgliedsstaaten, die Bürokratie der EU und der Brexit. Erst auf Platz fünf der Herausforderungen für die EU taucht mit dem Mangel an Fachkräften ein originäres Wirtschaftsthema auf, heißt es in der Mitteilung. „Die Unternehmen machen sich mehr Sorgen um den Fortbestand der EU als mancher Politiker“, erklärt Karl Manfred Lochner, der im LBBW-Vorstand für das Unternehmenskundengeschäft zuständig ist. Für die Umfrage sind die Antworten von knapp 240 Unternehmen ausgewertet worden.

 

Die deutschen Mittelständler geben dabei dem deutschen Wirtschafts- und Währungsraum Bestnoten, geht aus der Befragung hervor. Demnach hat für gut 60 Prozent der Befragten der Binnenmarkt einen sehr hohen oder hohen Nutzen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die exportstarke deutsche Wirtschaft in besonderem Maße vom Binnenmarkt profitiert. Fast 60 Prozent der deutschen Warenexporte gingen im vergangenen Jahr in die EU-Länder. Knapp 90 Prozent der Befragten nannten denn auch den Euroraum als einer ihrer drei wichtigsten Absatzmärkte. „Der Mittelstand setzt auf Europa“, sagt LBBW-Vorstand Lochner. „Die Unzufriedenheit mit der Hängepartie in wichtigen Politikfeldern ist mit den Händen zu greifen“, fügt er hinzu. Damit dürfte nicht zuletzt der Brexit gemeint sein. Fast vier Fünftel der Unternehmen rechnen nach dem Austritt Großbritanniens mit Exportrückgängen, gut 70 Prozent erwarten, weniger als bislang von den britischen Inseln zu importieren, geht aus der Studie hervor. Und zwei Drittel der Mittelständler wollen voraussichtlich weniger in Großbritannien investieren.

Robustes Investitionsverhalten

Zufrieden beurteilen die Unternehmen zum einen ihre aktuelle geschäftliche Entwicklung sowie zum anderen die Aussichten für die kommenden sechs Monate. Damit sind die Befragten wieder zuversichtlicher als noch vor einem halben Jahr, aber weniger zuversichtlich als vor einem Jahr. Damals sei die Bedrohung durch den Handelskonflikt der USA mit China und Europa noch nicht im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit gewesen, steht in der Mitteilung von LBBW und IAW weiter. Auch das Investitionsverhalten sei robust. Allerdings setzen die Unternehmen weniger auf Expansion als auf Ersatzinvestitionen und Rationalisierungen. Digitalisierung bleibt wichtig. Forschung und Entwicklung scheinen die Befragten mittlerweile allerdings für weniger wichtig zu halten. Nur noch bei 15 Prozent der Befragten stehen solche Zukunftsausgaben im Vordergrund; bei der Befragung im Herbst wurde hier noch ein Wert von 39 Prozent ermittelt.

Das für die Investitionen nötige Geld ist anscheinend vorhanden. Nach Schätzung des LBBW Research haben die Liquiditätsreserven bereits 2018 bei den Mittelständlern neue Rekordwert erreicht. Unternehmen, die Fremdkapital einsetzen wollen, setzen unverändert auf klassische Bankkredite. Vermehrt denken sie aber auch an Instrumente wie Leasing – eine Form der Miete – oder an Factoring – der Verkauf von Forderungen an darauf spezialisierte Gesellschaften. Der Vorteil dieser beiden Finanzierungsformen ist, dass eine möglichst hohe Liquidität im Unternehmen verbleibt.