Sind die Migranten aus der Türkei nach Jahrzehnten in Deutschland wirklich angekommen? Die Befunde einer am Donnerstag in Berlin veröffentlichten Emnid-Umfrage ergeben ein widersprüchliches Bild.

Berlin - Die gute Nachricht zuerst: Die überwältigende Mehrheit der Menschen türkischer Herkunft (90 Prozent) fühlt sich in Deutschland wohl. Sie und der Rest der Republik werden einander immer ähnlicher. Sie sprechen zunehmend die gleiche Sprache: Deutsch. Und sie nähern sich auch in der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau stetig an. Die Unterschiede in puncto Bildung und Arbeit werden allmählich kleiner.

 

Und jetzt die schlechte Nachricht: Beim Thema Islam finden beide Seiten einfach nicht zusammen. Bei einer repräsentativen Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut Emnid stimmten 47 Prozent der befragten Muslime mit türkischen Wurzeln dem Satz zu: „Die Befolgung der Gebote meiner Religion ist für mich wichtiger als die Gesetze des Staates, in dem ich lebe.“ Was auffällt: Unter den Zuwanderern der ersten Generation ist die Zustimmung zu dieser Aussage mit 57 Prozent deutlich höher als bei ihren Nachkommen. In der zweiten und dritten Generation vertreten 36 Prozent diese Ansicht.

Die Umfrage ist Teil einer Studie der Universität Münster, die in Berlin vorgestellt wurde. Ihre Ergebnisse zeigen auch, dass die Kinder und Enkel der türkischen Migranten im Vergleich zur ersten Generation weniger glaubensstreng leben. Sie beten seltener und gehen weniger häufig in die Moschee, Frauen tragen seltener ein Kopftuch.

Das hindert die Jüngeren aber nicht daran, sich selbst als stark religiös zu beschreiben. 62 Prozent der Angehörigen der ersten Generation bezeichneten sich selbst als sehr religiös. Unter ihren Nachfahren waren es sogar 72 Prozent. Der Leiter der Untersuchung, der Religionssoziologe Detlef Pollack, stellte dazu fest: „Möglicherweise spiegeln die Antworten auf diese Frage weniger die ‚tatsächlich gelebte‘ Religiosität wider als vielmehr ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft.“ Der Studie zufolge sind die Angehörigen der zweiten und dritten Generation zwar in vielem besser integriert als die „Gastarbeiter“ von einst. Das lässt sich am Zuwachs bei Schulabschlüssen, Deutschkenntnissen und Kontakten zu Deutschen erkennen. „Allerdings pocht die zweite und dritte Generation weit mehr auf kulturelle Selbstbehauptung als die erste“, sagte Pollack. Dazu passt auch, dass sich die aus der Türkei stammenden Menschen zwar insgesamt seltener benachteiligt fühlen als die Ostdeutschen. Auf der anderen Seite mangelt es ihnen aber an Anerkennung. 54 Prozent von ihnen identifizieren sich mit der Aussage: „Egal, wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt.“

Ressentiments nehmen zu

Viele der hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln haben zudem das Gefühl, der Islam werde zu Unrecht mit Gewalt und Fanatismus in Verbindung gebracht. Die Autoren der Studie sehen allerdings auch einen Zusammenhang zwischen dem in Deutschland weit verbreiteten negativen Bild des Islam und den dogmatischen Einstellungen, die ein Teil der in Deutschland lebenden Muslime vertritt. So stimmten 32 Prozent der von Emnid befragten Türkeistämmigen der Aussage zu, die Muslime „sollten die Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammed anstreben“. 36 Prozent von ihnen waren der Ansicht, nur der Islam sei in der Lage, „die Probleme unserer Zeit zu lösen“. Der Aussage, „Gewalt ist gerechtfertigt, wenn es um die Verbreitung und Durchsetzung des Islam geht“, stimmten sieben Prozent zu.

Am Mittwoch war andererseits eine Studie vorgelegt worden, nach der in Deutschland die Ressentiments gegen Muslime deutlich zugenommen haben. Der Berliner Extremismus Klaus Schroeder hält diese Studie zu rechtsextremer Gesinnung und Ausländerfeindlichkeit allerdings für belanglos und interessengeleitet. Schon der Titel der Studie von Forschern der Universität Leipzig – „Die enthemmte Mitte“ – sei eine reißerische Überzeichnung des tatsächlichen Meinungsbildes, sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. Mit generalisierenden Suggestivfragen etwa nach der Angst vor dem Islam und vor Ausländern wollten die Macher der Studie offenbar das gewünschte Ergebnis erzielen. Nur etwa fünf Prozent der Befragten könnten laut Studie als rechtsextrem eingestuft werden. „Das ist der geringste Wert, der bei diesen Forschern auch je ermittelt wurde. Das wird überhaupt nicht erwähnt.“

Schroeder wandte sich auch gegen die Behauptung, Rechtsextreme würden in der AfD eine politische Heimat finden. Von den betreffenden gut fünf Prozent gebe nur ein Drittel der Partei ihre Stimme. „Das sind nicht mal zwei Prozent der Bevölkerung.“ Daraus ergebe sich, wie viele AfD-Wähler bei Ergebnissen von zehn bis 15 Prozent für die Partei tatsächlich rechtsextrem seien. 15 Prozent der Menschen mit rechtsextremer Gesinnung wählten zudem die SPD. „Das zeigt auch, dass diese Studie sehr interessengeleitet ist.“ Darauf deuteten auch die Geldgeber des Projekts hin: „Es ist die Grünen-Stiftung, die Böll-Stiftung und die Luxemburg-Stiftung der Linkspartei.“

Der Extremismusforscher, der an der Freien Universität Berlin arbeitet, widersprach der Feststellung, die Deutschen seien islamophob. „Da würden die meisten differenzierter antworten, wenn sie genau befragt würden.“ Die Macher der Studie nutzten aber stattdessen diffuse Ängste..