Kurz vor der NRW-Wahl steigt die Nervosität in der Partei. Dort gehe es um die „Existenz“ meint Parteichefin Simone Peter, und auch die Bundestagswahl sei inzwischen „kein Selbstläufer“ mehr, meint ihr Ko-Vorsitzender cem Özdemir.

Berlin - Angesichts anhaltend schwacher Meinungsumfragen stellen sich die Grünen darauf ein, um ihren Verbleib im nordrhein-westfälischen Landtag sowie im Bundestag kämpfen zu müssen. „Die Umfrageergebnisse sind alles andere als befriedigend“, sagte die Parteichefin Simone Peter dieser Zeitung. „Ich finde es daher richtig, dass die NRW-Grünen den Wählern signalisiert haben, dass es in zweieinhalb Wochen um die Existenz geht.“

 

Was die Bundestagswahl im September angeht, gibt sich Peter „entspannter“. Die Co-Vorsitzende der Grünen machte aber auch klar, dass ein erneuter Einzug in den Bundestag angesichts der Zahlen kein Automatismus mehr ist: „Alle in der Partei wissen, dass wir kämpfen müssen – wir werden deutlich machen, dass wir für die Zukunft, für Europa und Weltoffenheit die unverzichtbare Stimme in der Parteienlandschaft sind.“

„Weckruf“ zur rechten Zeit

„Es wird alles andere als ein Selbstläufer“, sagte auch Cem Özdemir, Peters Co-Vorsitzender und zusammen mit Katrin Göring-Eckardt Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl: „Es ist aber noch alles drin.“ Die sorgenvollen Äußerungen aus Nordrhein-Westfalen betrachtet Özdemir daher als „Weckruf“ zur rechten Zeit.

Auch der nordrhein-westfälische Europaabgeordnete Sven Giegold begrüßte, dass NRW-Landeschefin Sylvia Löhrmann am Vortag darauf hingewiesen hatte, dass es für die Grünen auch „nach unten“ gehen und die Partei an der Fünfprozenthürde scheitern könnte: „Wenn Meinungsumfragen zeigen, dass Klimaschutz, Menschlichkeit gegenüber Flüchtlingen und eine soziale Bildungspolitik aus dem Landtag verschwinden könnten, dann ist es richtig, das auch klar zu sagen.“ Sein Fraktionskollege Reinhard Bütikofer, einst Bundesvorsitzender der Partei, mahnte gegenüber dieser Zeitung ebenfalls an, die schwierige Realität anzunehmen: „Gute Politik beginnt damit zu sagen, was ist. Das gilt auch, wenn man in der Kritik steht.“ Für eine realistischere Betrachtung der eigenen Lage plädiert auch die Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner: „Weder dürfen wir jetzt den Kopf in den Sand stecken noch unsere Schwächephase bestreiten, von der ohnehin jeder weiß, dass es sie gibt.“

Die Partei rätselt selbst

Warum die eigenen Themen bisher so wenig Durchschlagskraft entwickelt haben, gibt der Partei selbst Rätsel auf – dennoch will man weiter versuchen, sie als Alleinstellungsmerkmal herauszustellen. „Kurzfristig gibt es nur eins: Geschlossenheit und Konzentrieren auf die Kernthemen“, forderte der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn im Gespräch mit dieser Zeitung: „Jetzt ist die Zuspitzung auf eine Erzählung nötig, warum man die Grünen braucht.“ Ohne die Ökopartei werde es nämlich keine echte Verkehrswende, keine vernünftige Energiewende und auch keine nachhaltige Landwirtschaft geben: „Da haben wir einen Strauß spannender Themen, die die anderen so nicht haben.“

„Wenn ich mir die Themen der einschlägigen Polit-Talkshows angucke, könnte man meinen, der Klimawandel finde nicht statt und Klimaschutz sei Gedöns“, so Özdemir, der am Mittwoch bei einem Automobilkongress seiner Partei für fortschrittliche Antriebstechnologien warb und dies auch im Wahlkampf tun will: „Das Gegenteil ist der Fall, da geht es ans Eingemachte für unser Leben.“ Die „entscheidende Botschaft“ muss laut Bütikofer sein, „was wir gestalten wollen, wofür man uns braucht“. Als Beispiel für Nordrhein-Westfalen nannte er bezahlbare Mobilität mit einem Zwei-Euro-Ticket für ganz NRW sowie eine Energiewende, die „durch den mittelfristigen Kohleausstieg Heimat schützt“.

Indirekte Kritik von OB Kuhn

Stuttgarts OB Kuhn äußerte zugleich indirekte Kritik. Zwar verneinte der frühere Bundesvorsitzende die Frage, ob im Bund die falschen Spitzenkandidaten ausgesucht wurden, fügte jedoch hinzu: „Jetzt muss ein Programm kommen, das die Handschrift der Spitzenkandidaten hat.“ Nur Spitzenkandidaten zu wählen ohne ein auf sie zugeschnittenes Programm, das gehe nicht. Bei seinem Erklärungsversuch für die sehr unterschiedlichen Werte der Grünen in verschiedenen Bundesländern wurde Kuhn ebenfalls deutlich: „Überall da, wo die Grünen ihre Inhalte mit authentischen Personen verbinden können, ohne dass es inhaltliche Friktionen gibt, scheint es ihnen besser zu gehen – wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein oder Baden-Württemberg.“ Daran solle sich die Partei orientieren, so der Oberbürgermeister: „Vom Süden lernen heißt siegen lernen.“

Stimmen dieser Art hält Brantner für wenig hilfreich: „Alle, die glauben, Sie müssten nach jeder Umfrage die Strategie oder das Spitzenpersonal infrage stellen, handeln fahrlässig.“ Özdemir hält von voreiligen Schwarze-Peter-Spielen ebenfalls nichts: „Es geht jetzt darum, bis zum Wahlabend um 18 Uhr um jede Stimme zu kämpfen – dann kann man ein Ergebnis analysieren, aber doch nicht vorher.“ Seine Devise lautet: Kämpfen statt klagen.