Wolfgang Reinhart, CDU-Fraktionschef im Landtag, will die Provokationen der AfD ins Leere laufen lassen und die Partei inhaltlich stellen.

Stuttgart - Wie umgehen mit der AfD? Wie reagieren auf rechtsextremistische Tendenzen? Ein Gespräch mit Wolfgang Reinhart, Fraktionsvorsitzender der CDU im baden-württembergischen Landtag, über Provokationen von rechts, Horst Seehofer und den Zusammenhalt im Land.

 

Herr Reinhart, obwohl es Deutschland wirtschaftlich so gut wie nie geht und die Flüchtlingszahlen stetig sinken, findet die AfD immer mehr Zustimmung. Wie erklären Sie sich das?

Die AfD von heute hat nichts mehr mit ihren Ursprüngen zu tun, als sie im Grunde eine Professorenpartei war. Sie lebt inzwischen von Provokationen und politischen Grenzüberschreitungen, von Populismus und rechtsnationalistischen Sprüchen. Den Widerspruch dagegen nutzt sie, um sich als Opfer des „Systems“ zu inszenieren. Zugegeben mit einigem Erfolg.

Auch im Landtag bestimmt die AfD oftmals die Debattenthemen. Müssen Sie ihre Strategie im Umgang mit der AfD ändern?

Wir dürfen jedenfalls nicht über jedes Stöckchen springen, das die AfD hinhält. Sie tragen es ja in ihren Social Media-Kanälen wie ein Ehrenzeichen zur Schau, wenn sie von der Landtagspräsidentin zur Ordnung gerufen werden. Manches sollte man einfach ins Leere laufen lassen und sich ansonsten konkret mit den inhaltlichen Positionen der AfD auseinandersetzen. Nationalismus heute ist gefährlich für ein Land wie Baden-Württemberg, das wie kaum eine andere Region auf den Austausch mit der Welt angewiesen ist. Wie sollen denn heutzutage Herausforderungen in der Finanzwelt, dem Terrorismus, der Klimapolitik oder der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie des internationalen Warenaustausches anders als europäisch und international gelöst werden.

Aber springen sie nicht gerade wieder über ein solches Stöckchen, wenn sie das Parlamentarische Kontrollgremium des Landtags einberufen, weil zwei AfD-Abgeordnete aus Baden-Württemberg an einer Demonstration in Chemnitz teilgenommen haben?

Wir sollten sachlich und sauber an die Dinge herangehen. Dazu gehört: Jedermann in Deutschland hat das grundgesetzlich verbriefte Recht, an Demonstrationen teilzunehmen. Davon zu trennen ist die Frage, ob es zu Gewalt oder anderen Gesetzesverstößen überhaupt kam – und ob sich AfD-Abgeordnete daran beteiligt haben. Das müssen die Strafverfolgungsbehörden beurteilen. Der Rechtsextremismus ist eine große Gefahr. Aber diese Gefahr werden wir nicht bannen, wenn wir jede politische Entgleisung der AfD zu einer nationalen Debatte aufwerten. Das verschafft ihr nur genau die Aufmerksamkeit, die sie sucht.

Der AfD-Abgeordnete Stefan Räpple hat dem sächsischen Justizbeamten, der den Haftbefehl eines der mutmaßlichen Täter der Messerattacke von Chemnitz veröffentlicht hat, eine Stelle in seinem Team angeboten. Kann der Landtag so etwas tolerieren?

Nein, dies ist eindeutig eine Grenzüberschreitung. Hier geht es um einen Staatsbediensteten, der mutmaßlich eine Straftat begangen hat – nämlich Geheimnisverrat. Es ist nicht vertretbar, dass ein Abgeordneter der AfD einen solchen Menschen dann genau dafür beschäftigen will.

Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz?

In dieser Frage verlasse ich mich auf die Auskunft der Fachleute. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat erklärt, dass er im Moment keine hinreichenden Gründe sieht, die Partei als Ganzes vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Mit Interesse habe ich allerdings in Ihrer Zeitung gelesen, dass der baden-württembergische AfD-Fraktionschef Gögel selbst sagt: einige Mitglieder seiner Fraktion sollten eigentlich nicht dazu gehören, weil sie selbst außerhalb der Mehrheit seiner Fraktion und des dortigen demokratischen Konsenses stehen, den Gögel als Arbeitsgrundlage eben dieser Fraktion sieht. Die Fraktion hatte sich ja schon einmal gespalten.

Seehofer hat die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“ bezeichnet. Schließen Sie sich dieser Wortwahl an?

Die Flüchtlingsproblematik setzt alle europäischen Gesellschaften unter großen Druck. Aber wir sollten nicht sagen, es gibt nur dieses eine Thema, mit dem wir uns politisch zu befassen haben. Migration ist ein wichtiges Thema, aber es gibt noch viele andere wichtige.

Seehofer pocht weiterhin auf einen „Kurswechsel“ in der Flüchtlingspolitik – und zielt damit direkt auf die Kanzlerin. Wünschen auch Sie sich andere Akzente von Angela Merkel beim Thema Zuwanderung?

Die unkontrollierte Situation im Herbst 2015 hat das Vertrauen vieler Bürger in die Politik erschüttert. Diese Befürchtungen müssen wir ernst nehmen - insbesondere die Furcht vor Kriminalität, die Sorge um den Arbeitsplatz oder die Angst, keine bezahlbare Wohnung zu bekommen.

Sie haben angekündigt, sich in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode mit Ihrer Fraktion stärker als bisher um den „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ in Baden-Württemberg kümmern zu wollen. Wie soll das konkret aussehen?

In der ersten Hälfte haben wir uns vorrangig um die Themen Sicherheit, Bildung, Innovation und Stärkung der Kommunen gekümmert. Auf allen Feldern sind wir gut vorangekommen, müssen aber weiter gehen. Als CDU-Fraktion wollen wir nun das Thema Pflege besonders vorantreiben. Dazu gehören höhere Löhne für das Pflegepersonal, bessere Personalschlüssel in den Heimen, eine verstärkte Unterstützung für jene, die ihre Angehörigen zuhause pflegen und noch einiges mehr. Ein zweiter Schwerpunkt wird das Thema Wohnungsbau sein.

Wo hapert es dabei aus Ihrer Sicht vor allem?

Wir müssen mehr Wohnraum schaffen. Das bedeutet mehr sozialen Wohnungsbau, aber nicht nur den. Insgesamt muss die Bautätigkeit erhöht werden. Das erreichen wir nur, wenn mehr Bauland ausgewiesen werden kann und die Bauvorschriften spürbar entschlackt und vereinfacht werden.

Im Bund wie in Baden-Württemberg sprudeln die Steuereinnahmen. Ist es an der Zeit, außer über weitere Ausgaben auch über Entlastungen der Bürger nachzudenken?

Da bin ich ganz bei Ihnen und habe auch einen konkreten Vorschlag: Es ist höchste Zeit, den Solidaritätszuschlag zu beenden. Angesichts der guten Steuereinnahmen ist es vertretbar, jetzt ein klares Enddatum für den Soli zu nennen und nicht nur zu sagen, ab 2021 beginnen wir mit einer Entlastung. Der Soli hat sich überlebt.