Die US-Regierung nimmt illegalen Einwanderern an der Grenze die Kinder weg. Der Protest kommt verspätet.

Washington - Im Umgang mit illegalen Einwanderern war Donald Trump noch nie zimperlich. „Warum lassen wir alle diese Leute aus Drecksloch-Staaten herein?“, erregte sich der US-Präsident im Januar. Im Wahlkampf hatte er Mexikaner als „Vergewaltiger“ verunglimpft, kriminelle Ausländer nennt er inzwischen „Tiere“. Doch der versprochene Schutzwall im Südwesten des Landes kommt nicht voran. Deshalb greift Trump nun zu einer perfiden Abschreckungsmethode: Er lässt Migranten an der Grenze ihre Kinder wegnehmen.

 

„Wenn Ihr einen Illegalen über die Grenze schmuggelt, werden wir Euch verfolgen. Wenn Ihr ein Kind schmuggelt, werden wir Euch verfolgen, und das Kind wird von Euch getrennt, wie es das Gesetz verlangt. Wenn Ihr das nicht wollt, dann bringt Eure Kinder nicht illegal über die Grenze“, hatte US-Justizminister Jeff Sessions Anfang dieses Monats eine Null-Toleranz-Politik angekündigt. Es blieb nicht bei den verbalen Drohungen: Nach Angaben der Rechtshilfeorganisation „Florence Project“ wurden alleine im Bundesstaat Arizona 200 Familien auseinandergerissen. An der Praxis werde sich nichts ändern, kommentierte die „Washington Post“: „Diese Regierung hat kein Interesse daran, menschlich zu sein.“ Unter Trumps Vorgänger Barack Obama waren die Einwanderungsbehörden angewiesen, Familien nicht ohne triftigen Grund zu trennen.

Kinder sind in US-Gefängnissen nicht zugelassen

Kinder sind in amerikanischen Gefängnissen nicht zugelassen. Deswegen ließ man Eltern, die beim illegalen Grenzübertritt aufgegriffen wurden, in der Freiheit auf ihre Abschiebungs-Anhörung warten. Nun kommen die Erwachsenen – auch wenn sie sich bei den Ämtern melden und offiziell Asyl beantragen – in Haft, die Kinder werden unter der Obhut der Flüchtlingsbehörde des Gesundheitsministeriums an Pflegefamilien in den USA weitergeleitet. Nach Medienberichten sind die Eltern oft wochenlang nicht in der Lage, mit ihren Kindern zu kommunizieren und wissen bisweilen gar nicht, wo diese untergekommen sind. „Um die Kinder kümmert man sich – bei Pflegeeltern oder wo auch immer“, konterte John Kelly, der Stabschef des Weißen Hauses, spürbar desinteressiert den Vorwurf, die Praxis sei herzlos.

Zwar erinnerten 71 demokratische Kongressabgeordnete in einem Protestbrief an Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen daran, dass viele Migranten vor Gewalt und Elend geflohen seien. Doch der Skandal an der Grenze ging in der Flut täglicher Trump-Aufreger-Meldungen zunächst etwas unter. Seit dem Wochenende aber ist das Thema ins öffentliche Bewusstsein gerückt: Der Hashtag #WhereAreTheChildren findet rasante Verbreitung im Internet, und für die nächsten Tage sind Demonstrationen im ganzen Land geplant.

Von vielen jugendlichen Migranten fehlt jede Spur

Angestoßen wurde die Protestwelle ironischerweise durch eine Falschmeldung und zwei Tweets von Donald und Ivanka Trump. Während einer Senatsanhörung im April hatte ein Beamter des Gesundheitsministeriums berichtet, dass seine Behörde zwischen Oktober und Dezember 2017 die Lage unbegleiteter Kinder-Migranten in den USA untersucht habe. Jugendliche, die ohne Eltern – meist aus Honduras, El Salvador und Guatemala kommend – die Grenze übertreten, wurden schon immer bei Pflegeeltern untergebracht. Die Behörde überprüfte 7635 Fälle. Nur 6075 Kinder lebten noch bei den Erziehungsberechtigten. Einige waren geflohen oder umgezogen. Aber von 1475 jugendlichen Migranten fehlt jede Spur. Im Netz wurde diese erschreckende Zahl mit der neuen Grenzpraxis vermischt, was zu einem Aufschrei der Empörung führte. Prominente wie die Schauspielerin Mia Farrow werfen der Trump-Administration vor, den Eltern die Kinder zunächst wegzunehmen und sie dann aus den Augen zu verlieren. Das ist denkbar. Erwiesen ist das Behördenversagen bislang nur bei Jugendlichen, die auf der Flucht vor Drogen-Kartellen, Bandenkriminalität oder häuslichem Missbrauch ohne Eltern ins Land kamen.

Als Ivanka Trump am Sonntag dann ein Kuschel-Foto von sich mit ihrem Sohn Theodore James postete, empfanden das viele Amerikaner als Provokation. Kurz darauf twitterte Donald Trump: „Wir müssen Druck auf die Demokraten ausüben, damit das furchtbare Gesetz beendet wird, das Kinder von ihren Eltern trennt.“ Das brachte das Fass zum Überlaufen. Unter dem Motto „Familien gehören zusammen“ ruft die Menschenrechtsorganisation ACLU für Freitag zu Demonstrationen im ganzen Land auf. „Was da passiert, ist so unmenschlich, wie man es sich nur vorstellen kann“, empört sich Kampagnenmanagerin Lorella Praeli: „Und es verstößt gegen die US-Verfassung.“