Während inhabergeführte Läden wegen der verordneten Schließung oft mit dem Rücken zur Wand stehen, machen Supermärkte gute Geschäfte. Beklagt wird eine Wettbewerbsverzerrung – und ein Ausbluten der Innenstädte.

Fellbach - Wegen der dramatisch schnellen Ausbreitung des Coronavirus hat das Land dem Einzelhandel massive Einschränkungen verordnet. Seit fast zwei Wochen dürfen ganze Branchen wegen der Ansteckungsgefahr keinerlei Kundenverkehr mehr haben, statt Beratung im Laden sind nurmehr Online-Shopping und Lieferservice erlaubt. Bei Versandriesen wie dem Amazon-Konzern werden seither Sonderschichten gefahren, bei der kleinen Buchhandlung um die Ecke, dem örtlichen Schuhgeschäft oder auch im Blumenladen macht sich Existenzangst breit.

 

Auch Tankstellen haben längst die Funktion des kleinen Tante-Emma-Ladens um die Ecke übernommen

Denn die Last der Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus ist offenkundig reichlich ungleich verteilt. Während die klassisch inhabergeführten Geschäfte vom Goldschmied bis zum Spielwarenladen dicht machen mussten, erlebt der groß-flächige Einzelhandel ausgerechnet in der Krise eine Blüte. Vor dem Garten-Center sind alle Parkplätze belegt, in den Supermärkten steppt der Bär, Discounter und Baumarkt machen – trotz oder wegen der Angst vor dem Erreger – das Geschäft ihres Lebens. Auch Tankstellen haben längst die Funktion des kleinen Tante-Emma-Ladens um die Ecke übernommen – das Angebot reicht inzwischen vom belegten Brötchen über Kaugummi und Zigaretten bis zum geschäftstüchtig ins Blickfeld der Kunden gerückten Regal mit Mundschutz und Desinfektionsmittel.

Dass ausgerechnet kleine Läden in der Corona-Krise in die Röhre schauen, war möglicherweise gar nicht die Absicht der grün-schwarzen Landesregierung. Den Strategen im Krisenstab ging es bei der Schließungsverordnung für bestimmte Branchen eher darum, dass sich Bürger auch weiterhin mit lebenswichtigem Bedarf eindecken konnten.

Auch für Apotheken und Sanitätshäuser gibt es außer Abstandsregeln keinerlei Einschränkungen

Deshalb wurden zum Beispiel Lebensmittel als systemrelevant eingestuft, der Supermarkt darf ebenso geöffnet bleiben wie der Hofladen mit dem landwirtschaftlichen Direktverkauf. Auch für Apotheken und Sanitätshäuser gibt es außer Abstandsregeln keinerlei Einschränkungen, im Gegensatz etwa zu Friseuren dürfen auch Physiotherapeuten in der Corona-Krise weiter ihrem Beruf nachgehen. Verpasst wurde von der Landesregierung freilich, den als systemrelevant eingestuften Branchen auch eine Sortimentsbeschränkung zu verordnen – was in der Praxis zu einem extremen Ungleichgewicht führt. Während kleine Läden wie etwa ein simpler Kiosk in der Fellbacher Bahnhofstraße in der Corona-Krise geschlossen haben müssen, werden im Supermarkt weiterhin Tabakwaren und Zeitschriften verkauft. Während ein alteingesessenes Schuhgeschäft wie der Laden der Schmidener Familie Bürkle fürs Publikum dicht machen muss, wirbt der Discounter Aldi aktuell mit Angeboten für Sommerschuhe und Arbeitstreter.

Die Corona-Krise wird von lokalen Einzelhändlern schon als „grün-schwarzes Förderprogramm für die grüne Wiese“ bezeichnet

Und während sich selbst bei Branchengrößen wie dem Media-Markt im Rems-Murr-Center die Schiebetür derzeit nicht öffnet, hat die Konkurrenz von Kaufland, Lidl und Co. sowohl Radiowecker als auch Handy-Ladekabel im Sortiment.

Der Fellbacher Florist Rainer Belser hat bereits eine „massive Wettbewerbsverzerrung“ beklagt, sein Kollege Thilo Schick muss wegen der Umsatzeinbrüche zwei Drittel seiner Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken. Die Corona-Krise wird von lokalen Einzelhändlern schon als „grün-schwarzes Förderprogramm für die grüne Wiese“ bezeichnet. Der Unmut der wirtschaftlich an die Wand gedrückten Unternehmer richtet sich durchaus auch gegen die Stadt. „Nun hat man sogar einen Einzelhandelskoordinator. Doch zur Ungleichbehandlung kleiner Geschäfte hört man nichts“, heißt es unter Einzelhändlern. Fast schon als Affront sieht die lokale Wirtschaft, dass die baden-württembergische Landesregierung zunächst sogar geplant hatte, den Supermärkten sogar an Karfreitag und an den Osterfeiertagen eine Öffnung zu erlauben.

Wenigstens in der – in der Corona-Krise fast schon auffällig zurückhaltenden – Lokalpolitik regt sich inzwischen Widerstand

Auch die evangelische Landeskirche hatte diesen Vorstoß scharf kritisiert und mit Blick auf die Bedeutung der höchsten christlichen Feiertage als „inakzeptabel“ bezeichnet. Erst nach einem Rückzieher schlug Landesbischof Frank Otfried July wieder versöhnliche Töne an. „Wir sehen das als eine Rückkehr zur vertrauensvollen Zusammenarbeit im Kampf gegen die Corona-Pandemie“, sagte er.

Wenigstens in der – in der Corona-Krise fast schon auffällig zurückhaltenden – Lokalpolitik regt sich inzwischen Widerstand. Der Oeffinger CDU-Stadtrat Franz Plappert beispielsweise hat sich dieser Tage in einem Brief bei dem lokalen Landtagsabgeordneten Siegfried Lorek beschwert. „In den letzten Tagen haben etliche Selbstständige mir ihre große Not geklagt“, schreibt Plappert an den Parteifreund. Seine Devise: „Wenn die gewaltigen Anstrengungen des Landes am Ende zu einer Wirtschaftsförderung für Kaufland, Lidl und Aldi werden, sehe ich große Probleme auf uns zukommen.“ Der Oeffinger befürchtet, dass die Corona-Krise nicht nur zu wirtschaftlichen Verwerfungen führt, sondern im Einzelhandel wie eine Art Flurbereinigung wirkt.

Franz Plappert schreibt dazu: „Sollte diese Situation, aus gesundheitlichen Überlegungen nachvollziehbar, über einen längeren Zeitraum anhalten, kommen nicht nur die Haushalte unserer Städte und Gemeinden extrem unter Druck. Auch unsere Innenstädte werden in der Krise komplett neu strukturiert.“