Exklusiv Freihändig hat das Innenressort einen Millionenauftrag zur Modernisierung der Polizei vergeben. Zum Zuge kam eine kleine Softwarefirma. Ein großer Konkurrent wehrt sich nun vor Gericht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Timing war perfekt für den Innenminister, verdächtig perfekt. Eigentlich sollte Reinhold Gall (SPD) im Innenausschuss des Landtags zu einer umstrittenen Vergabe bei der Polizei befragt werden. Ohne Teilnahmewettbewerb hatte sein Ressort eine kleine Freiburger Softwarefirma beauftragt, für 1,5 Millionen Euro die veraltete Notruftechnik in den Leitstellen zu modernisieren; potenzielle Mitbieter blieben so von vornherein chancenlos. Eigens in öffentlicher Sitzung wollte die FDP das aus ihrer Sicht fragwürdige Gebaren diskutieren. Doch just am Vortag hatte die von einem anderen Unternehmen angerufene Vergabekammer beim Regierungspräsidium Karlsruhe entschieden, dass dabei alles mit rechten Dingen zugegangen sei. Genüsslich verwies Gall auf den ziemlich eindeutigen Beschluss, die Attacke der Liberalen lief ins Leere.

 

Erledigt ist der Konflikt damit nicht, im Gegenteil: er schaukelt sich gerade erst richtig hoch. Anfang Oktober wird das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe über die Vergabe verhandeln. Das bei der Kammer abgeblitzte Unternehmen, ein international agierender Anbieter von Kommunikationslösungen für Sicherheitsbehörden, hat Beschwerde eingelegt. Auch die EU-Kommission will der über das Gebaren der Landesregierung verärgerte Kläger in Marsch setzen: Weil schon eine vorausgegangene Vergabe an die Freiburger 2011 nicht korrekt erfolgt sei, soll Brüssel die Verträge rückwirkend für nichtig erklären. Hinter den Kulissen wird mit harten Bandagen gerungen, selbst einzelne Akteure werden auf mögliche Angriffspunkte hin durchleuchtet.

David gewinnt kampflos gegen Goliath

Auf den ersten Blick ist es eine David-gegen-Goliath-Konstellation: hier die 15-Mann-Firma aus Freiburg, die seit dem Jahr 2000 erfolgreich Einsatzleitsysteme anbietet (Hauptkunde: die baden-württembergische Polizei), dort das 1100 Mitarbeiter zählende Hightech-Unternehmen mit Hauptsitz in Wien, das weltweit im Geschäft und teilweise Marktführer ist. Aber den Riesen ärgert vor allem, dass er überhaupt nicht gegen den Zwerg antreten durfte. Man kämpfe in erster Linie „um fairen Wettbewerb“, lässt er verlauten, nicht so sehr um den konkreten Auftrag.

Normalerweise müssen Aufträge in siebenstelliger Höhe europaweit ausgeschrieben werden. Doch bei der Aufrüstung der Leitstellen, die im Zuge der Polizeireform erfolgen soll, berief sich das Innenministerium auf die eng gefasste Ausnahmeregelung. Seine Vorgabe: Man wolle kein neues System anschaffen, das über Schnittstellen verbunden werden müsste, sondern die Notruftechnik in das bestehende integrieren. Für diese „Software-Erweiterung“ komme nur die Freiburger Firma in Betracht, sie alleine dürfe in den Quellcode – ihr Geschäftsgeheimnis – eingreifen. Diese Lösung sei ungleich billiger und erspare es dem Land auch, Hunderte von Beamten völlig neu zu schulen. Insgesamt führe dies zu einer „Stärkung der öffentlichen Sicherheit“, beschied Innenminister Gall den skeptischen FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

Versuchsfeld für nicht ausgereifte Technik?

Genau daran meldet der große Konkurrent Zweifel an. Bundesweit, argumentierten seine Vertreter vor der Vergabekammer, seien die Leitsysteme und die Notrufvermittlung überall getrennt. Das sei der „Stand der Technik“, so habe es sich bewährt. Beim Notruf gehe es schließlich um Leben und Tod, da zähle nichts so sehr wie Verlässlichkeit. Für die in Baden-Württemberg geplante Zusammenführung gebe es hingegen weder technische Standards noch Vorbilder. Zudem fehle den Freiburgern das Knowhow für die hoch komplexe Materie. Der Vorwurf zwischen den Zeilen: das Land werde zum Versuchsfeld für eine noch nicht ausgereifte Technik.

Ganz anders sahen das die Vertreter des Innenministeriums. Es habe erhebliche Vorteile, wenn nicht mehr zwischen zwei verschiedenen Systemen hin und her gewechselt werden müsse – zum Beispiel bei „Großlagen“ wie einer Geiselnahme. Die Verfügbarkeit lasse sich, mit entsprechenden Vorkehrungen, ebenso gut gewährleisten. Solle das Land etwa „von einer der modernsten Lösungen Abstand nehmen“, nur weil der Konkurrent sie nicht anbiete? Natürlich sei das System „ausreichend auf Funktionsfähigkeit und Ausfallsicherheit getestet“, versicherte ein Ministeriumssprecher der Stuttgarter Zeitung.

Vergabekammer weist Beschwerde ab

Den Vorwurf fehlender Qualifikation wies die Freiburger Firma vor der Kammer scharf zurück: Man verfüge über „umfangreiche Erfahrungen“. Es dürfe ihr aber nicht zum Nachteil gereichen, dass es für innovative Lösungen naturgemäß noch keine Referenzen gebe.

Für die Vergabekammer war die Sache klar: selbst wenn getrennte Systeme üblich sein sollten, sei das Land nicht verpflichtet, dabei zu bleiben. Als Auftraggeber stehe es ihm frei, die Leistungen „nach seinen individuellen Vorstellungen zu bestimmen“. Eine damit verbundene Einschränkung des Wettbewerbs sei hinzunehmen. Also wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Da sich „keinerlei neue Aspekte“ ergeben hätten, sei man auch für die OLG-Verhandlung zuversichtlich, sagte ein Ministeriumssprecher. Der EU-Beschwerde sehe man, weil alles korrekt abgelaufen sei, nicht minder gelassen entgegen.

Beide Freiburger, beide Christdemokraten

Deutlich wies er auch Vermutungen zurück, bei der Vergabe könnten persönliche Beziehungen zwischen dem zuständigen Referenten im Innenressort und dem Geschäftsführer der Freiburger Firma eine Rolle gespielt haben. Beide stammen aus Freiburg, nebenberuflich betrieb der Polizeibeamte dort einige Jahre ein Computergeschäft. Eine geschäftliche Verbindung, so der Sprecher, habe aber nie bestanden. Auch die gemeinsame politische Heimat der beiden soll keine Rolle gespielt haben: der Beamte engagiert sich im Arbeitskreis Polizei der CDU, der Softwareunternehmer im heimischen CDU-Ortsverein.

Auf die für Gall so hilfreiche Terminierung der Vergabekammer will das Ministerium übrigens „in keiner Weise Einfluss genommen“ haben. Einen Wink gab es aber doch: Nach der mündlichen Verhandlung habe man dem Vorsitzenden mitgeteilt, wann sich der Innenausschuss mit der FDP-Anfrage befassen werde.