Stuttgart - Erst die Pandemie, jetzt der Russland-Ukraine-Krieg – nahtlos geht eine Krise in die andere über. Beide belasten den Staat mit neuen hohen Milliardenausgaben und fordern ihn heraus, seine finanzielle Handlungsspielräume durch eine veränderte Steuerpolitik auszuweiten. Da könnte die Erbschaftsteuer wieder in den Fokus geraten – und neue Verteilungskämpfe auslösen.
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Zwar gibt es große und kleine Erbschaften. Doch die Richtung ist klar: Die Gesellschaft bewegt sich zurück in eine Zeit, wo das Erben, Schenken und Heiraten in den Reichtum hinein darüber entscheiden, ob man ein abgesichertes Leben führt. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin werden bis zu 400 Milliarden Euro jährlich vererbt und verschenkt. Sozioökonomischen Erhebungen zufolge haben rund zehn Prozent aller Erwachsenen in Deutschland in den vergangenen 15 Jahren mindestens eine Erbschaft im Durchschnitt von 85 000 Euro oder Schenkung in Höhe von 89 000 Euro erhalten.
Das Vermögen ist hochgradig konzentriert
Dank steigender Immobilienpreise und – trotz kurzzeitiger Börseneinbrüche – wachsender Finanzanlagen gehen diese Zahlen weiter in die Höhe, doch sollte niemand vom flächendeckenden Geldregen ausgehen. „Man kann das nur verstehen, wenn man auf die hochgradige Konzentration von Vermögen schaut“, sagt Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Zwei Drittel des Volksvermögens liegen bei den obersten zehn Prozent – entsprechend groß ist ihr Anteil an der Erbschafts- und Schenkungssumme. Die untere Hälfte der Bevölkerung hat praktisch nichts. Zwar vererbt auch die obere Mittelschicht größere Werte, „doch ist dies für die Empfänger in der Regel nicht lebenstransformierend“.
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Das bedeutet: Erbschaften perpetuieren Vermögensungleichheit in die nächsten Generationen – das alte Aufstiegsversprechen „Jeder kann es schaffen“ verblasst. „Je mehr vererbt wird, desto mehr spaltet sich die Gesellschaft entlang der Frage, ob man sich ins gemachte Nest setzt oder ob man dies selbst machen muss“, sagt Beckert. Konkrete Auswirkungen zeigen sich auf den Immobilienmärkten: Lange wurde es in Deutschland als normal erachtet, dass eine Mittelschichtfamilie in der Stadt wohnen kann. Wenn aber Eigentum so teuer wird und Mieten derart rasant steigen, wie es derzeit passiert, führt dies zum Verdrängungswettbewerb. Darauf haben Schenkungen und Erbschaften einen starken Einfluss. „Über den Beitrag der Eltern wird darüber entschieden, wer noch in der Stadt wohnen kann und wer nicht“, sagt Beckert. „Das macht in der Lebensplanung einen erheblichen Unterschied.“
Je höher die Erbschaft – desto geringer die Steuern
Die Erbschaft- und Schenkungsteuer könnte da einen Ausgleich schaffen, bleibt letztlich aber zahnlos. 2020 hat der Staat 8,5 Milliarden Euro dadurch eingenommen. Doch mangelt es der Politik am Willen, sie wirklich effizient zu gestalten. So kommt es zu einem kuriosen Befund: Je höher die Erbschaft ausfällt – desto weniger Steuern werden dafür gezahlt.
Nach Berechnungen von DIW-Forscher Stefan Bach flacht die Erbschaft- und Schenkungssteuerbelastung im obersten Bereich wieder ab. Insofern trägt die gehobene Mittelschicht einen besonders hohen Anteil an der Steuerlast, weil für Geld und Immobilien andere Ausnahmen gelten als für Betriebsvermögen. Weil diese wiederum bei den Superreichen fast immer die dominante Form sind, können sogar Milliardenwerte steuerfrei übertragen werden.
Die davon Begünstigten sehen dies mit Genugtuung, herrscht doch bei ihnen der Eindruck vor: Wir zahlen schon mehr als genug Steuern – womit sie vor allem die Einkommensteuer und auch die Kapitalertragsteuer meinen. Die Bereitschaft, den Staat noch stärker zu beteiligen, lässt im oberen Vermögensbereich wieder deutlich nach, wie Erhebungen in der Finanzelite zeigen.
Große Aversionen gegen einen Eingriff des Staates
Die Abwehrkräfte gegen eine neue Erbschaftsteuer sind enorm. Auffällig ist dabei der starke Familienbezug. „Das Vermögen wird in einer deutschen kulturellen Tradition weniger als das Vermögen des einzelnen Eigentümers betrachtet, sondern als das Eigentum der Sippe, sodass die Übertragung an die nächste Generation als selbstverständlich gesehen wird“, erläutert der Soziologe Beckert. „Der Eingriff des Staates wird daher als illegitimer Übergriff des Staates auf die Familie wahrgenommen.“
Bedrängt wird die Politik vor allem von den eigentümergeführten Unternehmen. Diese betreiben einen ungeheuren Lobbyismus, um seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Privilegierung von Betriebsvermögen 2014 teilweise verworfen hat, Schlimmeres zu verhindern. Die großen mittelständischen Unternehmen gelten als das Rückgrat der Wirtschaft – da hat die Politik Beißhemmungen. Allein in diesem Jahr lässt sich der Staat die Sonderbehandlung für Betriebsvermögen im Erbschaftsteuerrecht gut fünf Milliarden Euro kosten.
Mit dem Leistungsgedanken hat das Erben wenig zu tun
So wird auch von der Ampel an der Stelle nichts zu erwarten sein. Der DIW-Forschungsleiter Markus Grabka nennt es „faszinierend“, dass ausgerechnet die FDP eine Reform der Erbschaftsteuer blockiert, obwohl sie doch den Leistungsgedanken wie eine Monstranz vor sich herträgt. Denn „geerbtes Vermögen hat mit dem Leistungsgedanken wenig bis gar nichts zu tun – außer dass ich Glück in der Geburtslotterie hatte“. Da belüge sich die FDP seit Langem selbst, indem sie Erbschaften und Schenkungen nicht offensiver angeht.
Wie sich die Blockade auflösen lässt, dazu hat das DIW weithin beachtete Vorschläge gemacht: „Ich bin kein großer Fan umfangreicher Ausnahmegenehmigungen“, sagt Grabka. „Aber dass dann gar keine Steuer gezahlt wird, soweit würde ich nicht gehen.“ So empfiehlt er, die Ausnahmetatbestände zu reduzieren und einen einheitlichen, leicht nachvollziehbaren Erbschaftsteuersatz einzuführen – eine niedrig angesetzte Flat-Tax von beispielsweise 15 Prozent.
Warum die Bevölkerung mehrheitlich gegen eine höhere Steuer ist
Ähnlich sehen es andere Forschungsinstitute, aber auch der Deutsche Gewerkschaftsbund: „Die Erbschaftsteuer muss für alle Arten von Vermögen gleichermaßen gelten“, fordert Vorstandsmitglied Stefan Körzell. „Falls nachweisbar der Erhalt eines Unternehmens durch die Erbschaftsteuer gefährdet würde, wofür es bisher keine Belege gibt, ließe sich die Steuer stunden.“
Solange die Gesellschaft sich diese extreme Ungleichbehandlung bieten lässt, erwartet Körzell von der Bundesregierung nichts – eine Anspielung auf Umfragen, wonach die Bevölkerung mehrheitlich gegen eine höhere Steuer ist. Wie aber kann das sein, wo es doch um die wohl zentrale Frage der sozialen Gerechtigkeit in diesem Land geht? „Unwissenheit spielt in der Steuergesetzgebung eine ganz wichtige Rolle – auch bei der Erbschaft“, erläutert der Soziologe Beckert. Die Menschen dächten, sie seien selbst betroffen, wüssten aber nicht, dass in der normalen Familiensituation erst mal zwei Millionen Euro vererbt werden müssen, damit die Steuer greift. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung besitze solche Vermögenswerte.
Hinzu kommt eine längerfristige sozialwissenschaftliche Beobachtung: Die wirtschaftlichen Transformationen der vergangenen drei Jahrzehnte wie der Neoliberalismus laufen darauf hinaus, dass dem Individuum eine größere Verantwortung gegeben wird. Kollektive staatliche Verantwortung wurde zurückgefahren – die Unsicherheit für den Einzelnen erhöht.
Erbschaften gelten weithin als sozialer Sicherungsanker
Vor diesem Hintergrund betrachten obere Mittelschichten die Erbschaften als eine Art sozialen Sicherungsanker – dies nach dem Motto: Wenn auf dem Arbeitsmarkt bei meinen Kindern etwas schief geht, könnte ich da aushelfen. Oder das Erbe von den Eltern wird als Teil der eigenen Altersvorsorge gesehen. Die Vorstellung, diese sozialen Sicherungsfunktionen zugunsten des Staates ein Stück weit aufgeben zu müssen, ruft Protest hervor. Zudem wird in einer stärker individualisierten Gesellschaft die Vermögensverteilung als ein faires Ergebnis der eigenen Anstrengung gesehen – mit der Folge, dass die Sorge der Bevölkerung um die Ungleichheit abnimmt, obwohl sie tatsächlich wächst. Tatsache ist aber: Nicht der Lohn der eigenen Mühen macht in erster Linie reich, sondern leistungslos erworbenes Vermögen.
Um diese trübe Perspektive aufzubrechen, hat das DIW jüngst einen weiteren innovativen Vorschlag gemacht: ein Grunderbe von bis zu 20 000 Euro für alle 18-Jährigen – natürlich nicht cash, sondern mit Verwendungsauflagen für Aus- und Weiterbildung, Erwerb von Wohneigentum, Selbstständigkeit oder Firmengründung versehen. Kostenpunkt: 15 Milliarden Euro jährlich, finanziert durch eine höhere Besteuerung der Reichen. Dies könnte die Vermögensungleichheit effektiv senken. Doch kann es etliche Jahre dauern, bis solche Ideen in praktische Politik übersetzt werden.
Wenn Millionäre höher besteuert werden wollen
Infolge der politischen Stagnation bilden sich immer mehr Initiativen von Millionären, die freiwillig höher besteuert werden wollen. In einer von ihnen, „Tax me now“, haben sich mehr als 50 Vermögende zusammengefunden. Zu den Aushängeschildern gehört die BASF-Erbin Marlene Engelhorn, die einen zweistelligen Millionenbetrag erben wird, wenn ihre Großmutter stirbt. 90 Prozent davon will sie wieder abgeben.
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Die Wiener Studentin begründet dies mit bemerkenswerten Gedanken: „Geld hat viel mit Macht zu tun“, sagt sie. „Das gilt es, transparent zu machen. Transparenz entlarvt Macht als Manipulations- und Kontrollinstrument, vor allem illegitime Macht, wie Vermögende sie halten, obwohl sie nicht gewählt wurden.“
Die selbstkritischen Wohlhabenden, die da mit ihrem Eigentum hadern, beleben auf eine sympathische Weise den Diskurs. Sie helfen, das System der Vermögensungleichheit zu hinterfragen. Ihr Vorteil ist es, dass ihnen niemand vorwerfen kann, sie seien vom Neid getrieben. Doch es sind ihrer viel zu wenige, um etwas Tiefgreifendes in Gang zu setzen. „Man hat nicht den Eindruck, als ob das irgendwelche Konsequenzen nach sich zieht“, meint Grabka. Und der Soziologe Beckert konstatiert illusionslos: „Der weit überwiegende Teil der Reichen ist damit beschäftigt, ihren Reichtum auch für die nächste Generation zu sichern.“ Der typische Wohlhabende mehrt das Familienvermögen lieber im Verborgenen, wo niemand stört.
Leichtigkeit des Seins auf Instagram zelebriert
Selbstdarstellung bleibt da die Ausnahme. Früher produzierten sich Betuchte in goldenen Blättern, heute in den sozialen Medien – so wie Julian Kögel, der Sohn des Baden-Badener Medienunternehmers Karlheinz Kögel, der die Leichtigkeit des materiellen Seins auf seinem Instagram-Account zelebriert. Sein bisheriger Lebensweg ist von Luxus geprägt: Elite-Internat, eigene Cessna, Kapital auch für beruflich erfolglose Projekte wie ein Schmucklabel. Irgendwann wird er einen Teil des auf 300 Millionen Euro geschätzten väterlichen Vermögens erben.
„Das ist ein Startvorteil“, sagt der Vater über das Erben. „Der Startklotz im Rennen ist zehn Meter weiter vorne, damit man eine bessere Chance hat, schneller durchs Ziel zu laufen – auf der Strecke muss man die Geschwindigkeit halten im Wettbewerb zu anderen.“ Zehn Meter weiter vorne? Tatsächlich verschafft ein hoher Nachlass einen derart großen Vorsprung, dass die Begünstigten praktisch schon im Zielraum angelangt sind.