Nach dem Chinesen He Jiankui will nun der Moskauer Fortpflanzungsmediziner Denis Rebrikov die Genschere an menschlichen Embryonen einsetzen. Forscher und Ethiker halten das für unverantwortlich.

Stuttgart - Denis Rebrikov kämpft um einen Platz in der Ruhmeshalle der Geschichte der Medizin. Der russische Fortpflanzungsmediziner will eine genetisch bedingte Form der Taubheit bekämpfen. Dazu wählt er einen umstrittenen Weg. Rebrikov will das Erbgut menschlicher Embryonen verändern. Die Taubheit entsteht durch einen Defekt im GJB2-Gen, den der Russe im Zuge einer künstlichen Befruchtung beheben will. Die Erkrankung ist im Westen Sibiriens weit verbreitet.

 

Nach eigenen Angaben haben sich nun fünf gehörlose Paare an den Wissenschaftler gewandt, die sich ein Kind wünschen, das hören kann. Bei den zukünftigen Eltern tragen Mutter und Vater den Gendefekt im Erbgut, so dass er in jedem Fall an die Kinder weitergegeben wird. Wenn nur ein Elternteil den Gendefekt besitzt, setzt sich meistens das gesunde Gen durch. Rebrikov hält deshalb den Eingriff in das Erbgut der Kinder für gerechtfertigt. Anders lasse sich der Wunsch der Eltern nicht erfüllen.

Der Forscher ist Leiter der Abteilung für Genetik an der größten Fruchtbarkeitsklinik Russlands, dem Kulakov National Medical Research Center in Moskau. Sein Plan ist kompliziert und weltweit bisher einmalig. Rebrikov will mit der Genschere Crispr-Cas den fehlenden Baustein in das GJB2-Gen einfügen und so den Defekt reparieren. Wissenschaftler in aller Welt verwenden die Crispr-Cas-Technologie bereits zur Veränderung des Erbguts, bisher allerdings bei Kleinstlebewesen, Tieren und Pflanzen. Der Einsatz des Verfahrens am Menschen ist dagegen kaum untersucht.

Gesunde Gene könnten beschädigt werden

Rein technisch gesehen, besteht eine Reihe von Risiken: Die Genschere könnte beispielsweise an falschen Stellen auch gesunde Gene zerschneiden. Es ist auch nicht sicher, ob der Zusammenbau nach dem Schnitt wie gewünscht verläuft oder stattdessen durch die Reparatur ein anderer schädlicher Gendefekt entsteht. Zudem muss der Eingriff in das Erbgut bei allen Zellen erfolgreich sein, sonst könnte er die gesunde Entwicklung des Embryos gefährden. Rebrikov behauptet, er habe diese Probleme im Griff. „Meine Experimente zeigen, dass die Technik sicher ist“, sagte er in einem Interview.

Überprüfen konnte das bisher niemand, obwohl viele Experten das fordern. Rebrikov wäre mit seiner Ankündigung deutlich weiter als der anerkannte Stand der Forschung. Dabei ist der Russe bisher kaum international in Erscheinung getreten. Das nährt Zweifel an seiner Seriosität. Möglicherweise ist Rebrikov nur bereit, ein hohes Risiko einzugehen und an Menschen zu experimentieren, wie es chinesische Forscher im Jahr 2018 bei ähnlichen Versuchen getan haben.

„Das ist verrückt, und es macht mir große Sorgen“, urteilt Victor Dzau, Präsident der US-Akademie für Medizin. „Aber ich weiß nicht, was wir tun können, um ihn aufzuhalten“, ergänzt der Wissenschaftler. Das Problem: Jedes Land besitze bei der Gesetzgebung zum Thema Genveränderungen seine eigene Souveränität. Dass Rebrikov trotz der ablehnenden Haltung der meisten Forscher die erforderlichen Genehmigungen von den russischen Behörden bekommt, erscheint möglich. Präsident Wladimir Putin hat mehrmals öffentlich gesagt, dass er Genveränderungen beim Menschen nicht grundsätzlich ablehnt. Mit der Geburt eines Cripsr-Babys könnte die gebeutelte russische Forschung beweisen, dass sie international doch noch konkurrenzfähig ist.

Moratorium ohne Wirkung

Die Chance, diese umstrittenen Experimente stoppen zu können, ist offensichtlich klein. International ausgewiesene Experten haben im März dieses Jahres ein befristetes Moratorium gefordert. In diesem Zeitraum sollen genetische Eingriffe in die Fortpflanzung des Menschen weltweit geächtet werden. Der Appell wird zwar allgemein begrüßt – aber nicht unterzeichnet. „Die Ankündigungen von Rebrikov unterstreichen einmal mehr, dass es allerhöchste Zeit ist, dass sich die Politik von der nationalen bis zur globalen Ebene des Themas annimmt“, fordert Peter Dabrock, der Vorsitzende des deutschen Ethikrats. Die Politik müsse eher heute als morgen auf globaler Ebene Institutionen schaffen, die effektiv den Fortgang der Wissenschaft registrieren, sagt der Theologe.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat ein Komitee mit diesem Ziel eingerichtet. Aber angesprochen auf den aktuellen Versuch, gentechnisch veränderte Menschen herzustellen, müssen die Mitglieder zugeben, dass sie nicht in der Lage sind, die Aufsicht über solche Experimente zu übernehmen oder sie zu verhindern.

Das scheint nötig: Wenn der Mensch das Erbgut anderer Menschen dauerhaft manipulieren kann, dann wird sich damit auch das Selbstverständnis der Menschheit verändern. „Die Menschheit muss mitdenken und am Ende entscheiden dürfen“, fordert nicht nur Peter Dabrock. Sie dürfe sich nicht von „ungeduldig-ruhmsüchtigen Forschenden“ vor vollendete Tatsachen stellen lassen.

Zweifel an der Zuverlässigkeit

Experten bezweifeln, dass der russische Forscher die Technik tatsächlich so gut beherrscht, wie er behauptet. „Die Daten, die bisher vorliegen, sind noch unzureichend“, urteilt Shoukhrat Mitalipov. Der Biologie an der Oregon University arbeitet ebenfalls mit Crispr-Cas an der genetischen Veränderung von menschlichen Embryonen. Er lehnt es aber ab, diese in die Gebärmutter einer Frau einzusetzen. Mitalipov ist überzeugt, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis die Verfahren die nötige Zuverlässigkeit erreichen.

Doch selbst wenn der Wissenschaft dieser Schritt gelänge, ist Alena Buyx überzeugt, dass das russische Experiment viel zu früh kommt. Die Professorin an der TU München ist Mitglied des WHO-Komitees zum Genome Editing beim Menschen. „Erste Versuche sollten nicht an zukünftigen Kindern erfolgen, die auch mit der genetischen Mutation ein relativ normales Leben führen können“, sagt Buyx. Für die genetisch bedingte Taubheit gebe es etablierte Behandlungsmöglichkeiten wie Cochlea-Implantate. Viele gehörlose Menschen wehren sich ohnehin gegen eine Einstufung als Behinderte.

Dammbruch in China

Bereits im November 2018 wurden in China Zwillinge geboren, die nach einem Eingriff im Erbgut nicht mehr an HIV erkranken können. Der Wissenschaftler He Jiankui habe ohne Zustimmung der Behörden gehandelt, heißt es aus China. Ob die Genmanipulation ohne Nebenwirkungen gelungen ist und welche anderen Konsequenzen sie für die Kinder hat, ist nicht bekannt. 2016 wurde in Mexiko ein Kind mit drei genetischen Eltern geboren. Ein Paar nutzte dazu die Spende einer gesunden DNA einer anderen Frau. In diesem Fall ging es um Erbanlagen, welche die Energieversorgung der Eizelle kontrollieren.

Kritiker solcher Eingriffe verweisen darauf, dass es auch Alternativen
zu direkten Eingriffen ins Erbgut gibt. Wenn nur die Mutter oder nur der Vater einen Gendefekt besitzt, gibt es andere Verfahren, um eine Weitergabe an das Kind zu vermeiden. Im Rahmen einer künstlichen Befruchtung lässt sich das Erbgut untersuchen. Die Mediziner könnten dann gezielt Embryonen ohne Gendefekt auswählen und in die Gebärmutter einsetzen.

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