Immer wieder werden V-Leute von Polizei, Staatsanwaltschaft oder Verfassungsschutz eingesetzt, wenn es um schwere Kriminalität geht. Doch der Einsatz ist auch im Südwesten umstritten. Gefordert werden klare Regeln und eine wirksame Kontrolle.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Stuttgart - Es war ein Fall, der ein grelles Schlaglicht auf eine selten erhellte Schattenwelt bei Polizei und Justiz warf. Bei den Ermittlungen zur Insolvenz des Windkraft-Projektierers Windreich, erfuhr die Öffentlichkeit im Oktober, waren auch „Vertrauenspersonen“ eingesetzt. Was sie den Fahndern über den Windreich-Gründer Willi Balz und einen Berater erzählten, klang haarsträubend: Es ging um Mafiakontakte, Bezüge zu Berlusconi oder angebliche Sexsucht. Alle Aussagen erwiesen sich freilich als substanzlos und fanden daher keinen Eingang in die Anklage.

 

V-Leute in Wirtschaftsverfahren – das ist überaus ungewöhnlich. Normalerweise werden Spitzel von Polizei, Staatsanwaltschaft oder Verfassungsschutz eingesetzt, wenn es um organisierte Kriminalität, Drogen und Banden oder Terrorismus geht. Auch da spielen sie öfter eine dubiose Rolle, wie der U-Ausschuss des Landtags zum NSU-Komplex wiederholt feststellte. Doch wer Genaueres zum Einsatz der Inoffiziellen Mitarbeiter in Baden-Württemberg wissen will, stößt auf eine Mauer des Schweigens. Wie viele es von ihnen gibt, bei welchen Delikten man besonders auf sie baut, wie sie bezahlt werden – zu alldem gibt es offiziell keinen Kommentar. Eine umfassende Anfrage unserer Zeitung beantwortete das Innenministerium von Thomas Strobl in Abstimmung mit dem Justizressort von Guido Wolf (beide CDU) höchst einsilbig. Es gehe um „Inhalte, die der Geheimhaltung unterliegen oder als Verschlusssache nur für den dienstlichen Gebrauch eingestuft sind“, lautet die Begründung. Eine Offenlegung sei nicht möglich, da sie „Rückschlüsse auf das taktische Vorgehen der Polizei“ zulassen würde – und dies in einem „äußerst gefährdungsrelevanten Bereich“. Vertrauenspersonen bewegten sich meistens in Milieus, die von einem „hohen Grad an Kriminalisierung sowie Aggressions- und Gewaltpotenzial“ geprägt seien. Flögen sie auf, drohe ihnen Gefahr für „Leib, Leben und Freiheit“.

Auskünfte gibt es nur höchst einsilbig

Nur allgemein gibt das Strobl-Ministerium Auskunft zum Einsatz von V-Leuten. Es handle sich um eine „Standardmaßnahme im Rahmen verdeckter kriminalpolizeilicher Ermittlungen“. Sie komme nur bei „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ in Betracht und sei unverzichtbar, um Informationen insbesondere aus „abgeschotteten Milieus“ zu erlangen. Grundsätzlich arbeite man mit ihnen über einen längeren Zeitraum zusammen, sie müssten sich bewähren, ihre Aussagen würden stets überprüft. Auch von den höchsten Gerichten seien sie als Mittel zu Strafverfolgung und Gefahrenabwehr anerkannt. Ähnlich unergiebig war die Antwort auf eine Anfrage der Linken im Bundestag, die sich 2016 nach V-Leuten bei Bundesbehörden erkundigt hatten. „Gesichtspunkte des Staatswohls“, hieß es, wögen hier ausnahmsweise schwerer als das parlamentarische Kontrollrecht. Zu den Honoraren – ein zentrales Motiv vieler Informanten – wollte sich die Bundesregierung immerhin nicht öffentlich äußern. Vor Jahren berichtete der „Stern“ einmal über die „Tarifordnung“. Es gebe feste Sätze je nach Erfolg – etwa 130 Euro pro beschlagnahmtem Kilogramm Haschisch und 1275 Euro für ein Maschinengewehr.

Auch die Opposition steht zu V-Leuten

In Baden-Württemberg steht nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition grundsätzlich hinter dem Einsatz von V-Leuten. Wichtig seien allerdings klare Regeln und deren Kontrolle. Auf Initiative der SPD habe man 2015 erstmals eine gesetzliche Grundlage für den Einsatz geschaffen, sagt der SPD-Vizefraktionschef Sascha Binder. Zuvor habe es nur interne oder geheime Vorschriften gegeben, nun regele ein Paragraf im Verfassungsschutzgesetz (6 a) Auswahl und Vorgehen. Der Informantenlohn, heißt es darin etwa, dürfe nicht die „alleinige Lebensgrundlage“ sein. Zudem, so Binder, habe man ein parlamentarisches Kontrollgremium durchgesetzt, um eine wirksamere Aufsicht zu gewährleisten. Der AfD-Fraktion geht die Kontrolle noch nicht weit genug. Einzelne Abgeordnete hätten kein Auskunftsrecht, und der Verfassungsschutz könne bestimmte Auskünfte verweigern, moniert der Innenexperte Lars-Patrick Berg. Daher werde man sich „für gesetzliche Nachbesserungen einsetzen“. Generell krankt der Einsatz von V-Leuten für Berg an der Tatsache, „dass sich diese Quellen freiwillig und aus Überzeugung in das Milieu begeben haben, aus dem sie den Sicherheitsbehörden zum Zweck der Zerschlagung ebendieses Milieus berichten sollen“. Da stelle sich die Frage nach der „Vertrauenswürdigkeit von Zuträgern“, die aus finanziellen oder anderen Gründen Verrat begingen. Generell halte man mehr Transparenz beim Verfassungsschutz für „dringend geboten“, unterstreicht Berg.

Weitere Konsequenzen nach NSU-Ausschuss

Auch die FDP ist sich der „schwierigen Gemengelage“ bewusst. V-Leute agierten in der Regel „nicht aus rechtsstaatlicher Überzeugung“, sondern aus Gewinnstreben oder wegen persönlicher Vorteile, sagt der Rechtsexperte Nico Weinmann. Trotzdem könne man auf sie und ihre Informationen in manchen Situationen nicht verzichten. Letztere müssten aber „sorgsam ausgewertet und bewertet“ werden, die V-Personen-Führer in den Behörden müssten besonders aufmerksam begleitet werden. Im Bund habe sich die FDP schon 2012 dafür eingesetzt, dass dem Parlamentarischen Kontrollgremium regelmäßig über V-Leute berichtet werde, erinnert Weinmann; dies hätten Union und SPD leider abgelehnt. Mögliche weitere Konsequenzen wollen die Oppositionsfraktionen prüfen, wenn der NSU-Ausschuss im Landtag seine Arbeit abgeschlossen hat.

In einem Punkt aber meldeten alle drei schon jetzt Fehlanzeige. Ob ihnen außer Windreich weitere Fälle bekannt seien, wo Spitzel in Wirtschaftsverfahren eingesetzt wurden? Dies sei nicht der Fall.