Bizarre Gemengelage nach Jan Böhmermanns „Schmähkritik“: Der Satiriker erhält den begehrten Grimme-Preis, die Türkei sinnt auf Bestrafung, Springer-Boss Döpfner erklärt sich solidarisch. Und die Hauptperson? Geht auf Tauchstation.

Berlin/Marl - Inzwischen ist es also eine „Staatsaffäre“. Als solche bezeichnen einige Medien die Debatte um das umstrittene Erdogan-Gedicht von Jan Böhmermann. Anderthalb Wochen ist es nun her, dass der 35-Jährige in seiner satirischen Late-Night-Show „Neo Magazin Royale“ in einem Text namens „Schmähkritik“ über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan herzog. Er handelte sich einen Rüffel von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ein. Und der Fall zieht weitere Kreise.

 

In einer Verbalnote an das Auswärtige Amt hat die türkische Regierung die Strafverfolgung des Satirikers verlangt, wie am Sonntag bekannt wurde. Anfang der Woche sollen deswegen Mitarbeiter des Kanzleramts, des Auswärtigen Amts und des Justizministeriums zusammenkommen, hieß es aus Regierungskreisen. Theoretisch drohen dem Satiriker wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts drei Jahre Haft.

Und Böhmermann? Er hat sich offensichtlich entschlossen, erst mal auf Tauchstation zu gehen. Eine Einladung zu „Anne Will“ am Sonntagabend schlug er aus - dabei hätte er sicher einiges sagen können zum Thema der ARD-Talkshow: „Streit um Erdogan-Kritik - Kuscht die Bundesregierung vor der Türkei?“ Auch seine Satire-Sendung „Sanft & Sorgfältig“ auf Radio Eins ließ er am Sonntag ausfallen. „Sie wissen ja sicher, was gerade rund um Jan Böhmermann los ist“, entschuldigte der Sender vom Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) das.

Springer-Mann Döpfner zeigt sich solidarisch

Böhmermann macht sich rar, und trotzdem ist er der Star in den Kommentarspalten und Feuilleton-Betrachtungen vieler Zeitungen und Magazine. Mathias Döpfner - Chef eines der führenden Medienhäuser Europas - ergriff in der „Welt am Sonntag“ Partei für Böhmermann. „Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen Ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen“, schrieb der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer („Bild“, „WeltN24“) in einem offenen Brief. „Ich finde Ihr Gedicht gelungen.“

Böhmermann hatte das Gedicht mit dem Titel „Schmähkritik“ am 31. März im Digitalkanal ZDFneo präsentiert - und vorher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass so etwas in Deutschland nicht erlaubt sei. Anlass war Erdogans Protest gegen einen harmloseren Satire-Beitrag des NDR-Fernsehmagazins „extra 3“. Böhmermann witzelte, er wolle Herrn Erdogan mal an einem praktischen Beispiel erklären, was in Deutschland von der Satire-Freiheit gedeckt sei und was nicht.

„In Deutschland brach eine Art Staatskrise aus, nur weil Sie Herrn Erdogan als „Ziegenficker“ bezeichnet haben“, schreibt Döpfner in seinem offenen Brief. „Ein Kunstwerk“, urteilt der Chef des Medienhauses, das gewöhnlich im eher konservativen Spektrum verortet wird. Der Leitartikel des aktuellen „Spiegel“ kommt zu einem ähnlichen Schluss: „Und natürlich war Böhmermanns Beitrag keine Schmähkritik, sondern das Spiel mit ihr.“

Anders argumentierte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. „Man kann Erdogan mit guten Gründen kritisieren, auch mit den Mitteln der Satire. Aber indem man ihn als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, sowas zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und erst recht nicht Politik“, meinte Autorin Friederike Haupt.

Böhmermann erhält den Grimme-Preis

Es sind aufregende Tage für Böhmermann. Wie der zeitliche Zufall es wollte, bekam er am Freitagabend den begehrten Grimme-Fernsehpreis - für seine Satire über den Mittelfinger des früheren griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis. Schon mit dieser Aktion („Varoufake“) hatte Böhmermann im März 2015 „die Medienrepublik in Aufruhr versetzt“, wie es die Jury formulierte.

Der festlichen Gala zur Preisverleihung im westfälischen Marl blieb Böhmermann fern. Dabei setzte der Deutsche Volkshochschul-Verband (DVV) als Stifter der Grimme-Preise noch einen drauf: Böhmermann bekam auch die „Besondere Ehrung“ - für seine Verdienste um die Entwicklung des Fernsehens in der digitalen Welt.

„Dieses Gedicht hat sicherlich die Grenzen des guten Geschmacks verletzt und ist sicher alles andere als grimme-preis-würdig“, stellte die DVV-Präsidentin und saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fest. Aber das ändere nichts an Böhmermanns Qualitäten und Leistungen für eine offene, mutige und demokratisch-gelassene Medienwelt, betonte sie. „Deshalb ist diese Ehrung verdient.“