In Colmar wehren sich Anwohner gegen das Läuten der Glocken am Sonntag. Aber manche Bewohner vermuten, dass sich nur ein Anwalt dahinter versteckt.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Viele Hundert Jahren ist alles gut gegangen. Keine Seele hat sich am Geläut der Stiftskirche Saint-Martin in Colmar in Frankreich gestört. Seit unzähligen Generationen rufen die Glocken jeden Sonntagmorgen die Gläubigen Punkt 10.30 Uhr zur heiligen Messe. Doch der Frieden hat ein Ende. 19 anonyme Anwohner melden sich zu Wort, die den nach ihren Aussagen „höllischen Radau“ nicht mehr ertragen können. Sie fühlen sich um ihre wohlverdiente Sonntagsruhe gebracht.

 

10 000 Euro fürs Glockenläuten?

Der Anwalt der Kläger hat bereits schwere juristische Geschütze aufgefahren. Wenn der Lärm nicht unverzüglich eingestellt werde, so lässt er wissen, fordere man 10 000 Euro Strafe, da die Kirchenverantwortlichen unter anderem die Gesundheit seiner Mandanten in Gefahr bringe. Messungen in drei Wohnungen von Anwohnern hätten ergeben, dass der Lärm durch die Glocken nur knapp unter jenem Bereich liege, der für menschliche Ohren gerade noch erträglich sei. Was den Juristen besonders ärgert: Er habe sich in der Angelegenheit natürlich an die zuständigen Kirchenoberen gewandt, aber keine Antwort bekommen. Seine Mandanten wollten die Glocken ja nicht ganz abstellen, sie könnten auch am Sonntag läuten – allerdings erst nach 12.30 Uhr.

Er selbst sei persönlich an einem Sonntag im Februar zur Messe gegangen, erläutert der Anwalt, und er habe gerade einmal einhundert Gläubige gezählt. Die meisten von ihnen seien alte Menschen gewesen, die sicher sehr genau wüssten, wann der Pfarrer mit der Messe beginnt. Tatsächlich gibt es im Fall von Colmar auch ein architektonisches Problem. Der Glockenturm der Stiftskirche, die aus dem 13./14. Jahrhundert stammt, ist wesentlich niedriger als etwa jener in Straßburg, der 142 Meter misst und ein ähnliches Geläut beherbergt. In Colmar befinden sich zudem viele Wohnungen rund um das Gotteshaus, die sich auf einer ähnlichen Höhe wie die neun großen Glocken befinden. Dazu wird nach Ansicht der Kläger der Schall von den Gebäuden reflektiert und so noch verstärkt.

Yves Hemendiger, Stellvertreter des Bürgermeisters, kann die ganze Aufregung nicht ganz verstehen. „Am Sonntagmorgen läuten die Glocken nicht nur, um die Gläubigen zum Gebet zu rufen“, erklärt er. Sie würden auch dem Tagesablauf der anderen Bürger einen geregelten Rhythmus geben. Das Läuten gehöre zur Kultur im Elsass. Eine gewisse Form von Lärm gehöre eben zum Leben einer Stadt hinzu.

Die Glocken schweigen auf keinen Fall, sagt die Kirche

Die Verantwortlichen der Diözese signalisieren immerhin Gesprächsbereitschaft. Bernard Xibaut, Domherr und Kanzler der Diözese, erklärt, dass man selbst einen Fachmann beauftragt habe, um die Lautstärke der Glocken zu messen. Zudem werde daran gearbeitet, die Dauer und die Intensität des Geläuts zu reduzieren. Das Entgegenkommen hat aber offensichtlich auch Grenzen. Man werde auf keinen Fall die Glocken schweigen lassen, erklärt Bernard Xibaut. Sie läute schließlich am Sonntag zu einer Zeit, die für jedermann einleuchtend sein müsste.

Was der Domherr nicht versteht, ist, warum sich noch nie ein betroffener Anwohner in Colmar direkt bei ihm über das Läuten der Glocken beschwert hat. Er wisse auch nicht, wen genau der Anwalt mit seiner Klage vertrete. Der sei bereits aufgefordert worden, die Namen der Leute zu nennen, mache aber ein sehr großes Geheimnis daraus. „Solange nicht die echten Anwohner vor uns stehen, machen wir nichts“, sagt Bernard Xibaut. Inzwischen wird erzählt, dass sich tatsächlich nur ein einziger Mensch in Colmar in seiner sonntäglichen Morgenruhe gestört fühlen würde: der klagende Jurist selbst.