Umstrittenes Projekt in Winnenden Maßregelvollzug kommt – und verändert die Kliniklandschaft

Das Klinikum Schloß Winnenden sortiert sich neu. Foto: Gottfried Stoppel

Der Bau eines neuen Therapiezentrums löst am Zentrum für Psychiatrie in Winnenden einen Dominoeffekt aus. Dahinter steckt ein strategischer Plan – mit Folgen für die ganze Stadt.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Das Wetter gut, die Stimmung gelöst, der Boden durchstochen: Mit dem symbolischen Spatenstich für Haus P ist in dieser Woche der offizielle Startschuss für ein Bauvorhaben gefallen, das mehr ist als ein Gebäude. Es ist ein politisches, soziales und architektonisches Statement – und der erste sichtbare Schritt in einem durchaus heiklen Transformationsprozess für das Zentrum für Psychiatrie in Winnenden.

 

Denn der Neubau, der bis Anfang 2027 entstehen soll, ist kein Selbstzweck. Er ersetzt das bisherige Suchttherapiehaus C – das seinerseits einem anderen, deutlich kontroverseren Projekt weichen muss: dem Maßregelvollzug für suchtkranke Straftäter. Ein sensibles Thema, das in Winnenden bereits zu heftigen Debatten, Anwohnerprotesten und planerischen Rückzügen führte.

Widerstand gegen Maßregelvollzug: Winnenden im Konflikt

Zurück ins Jahr 2022: Die Landesregierung kündigte an, neue Therapieplätze für suchtkranke Straftäter zu schaffen. Winnenden, bislang ohne eigene Maßregelvollzugseinheit, rückte ins Blickfeld. Schnell folgte die Ernüchterung: Der erste Standortvorschlag – mitten im Schlosspark – scheiterte am lauten Widerspruch der Nachbarschaft. Angst vor flüchtenden Patienten, Nähe zu Schulen und Kindergärten – die Bedenken waren vielfältig und laut. Nach zwei Dialogveranstaltungen und einem abschlägigen Gemeinderatsvotum wurde das Vorhaben beerdigt – zumindest in seiner ursprünglichen Form.

Doch das Land ließ nicht locker. Und das Klinikum Schloß Winnenden auch nicht. Denn der Bedarf ist real: Überbelegte Stationen, Stockbetten, fehlende Therapieplätze – der Maßregelvollzug in Baden-Württemberg arbeitet am Limit. Das bestätigte zuletzt auch das Sozialministerium.

Neuer Standort für Maßregelvollzug: Sensible Rochade in Winnenden

Spatenstich am Zentrum für Psychiatrie in Winnenden (v.l.): Architekten Andreas Ludwig und Gerhard Jeggle, Stv. Geschäftsführer und Kaufmännischer Direktor Bernd Czerny, Erster Bürgermeister Norbert Sailer, ZfP-Geschäftsführerin Anett Rose-Losert, Pflegedienstleiterin Gabi Bernat, Chefarzt Dr. Christopher Dedner und Stadtentwickler Markus Schlecht. Foto: ZFP Winnenden

So wurde ein neuer Standort gesucht – und gefunden. Wieder auf dem Klinikgelände, doch nun mit dem geforderten Mindestabstand von 50 Metern zur Wohnbebauung. Das neue Gelände liegt hinter einer Böschung, nahezu unsichtbar. Es ist das Areal von Haus C – einem Gebäude, das erst vor wenigen Jahren saniert worden war. „Dass wir es jetzt abreißen müssen, tut weh“, räumte die Geschäftsführerin Anett Rose-Losert ein. Doch anders sei der Maßregelvollzug nicht zu realisieren.

Komplexe Baupuzzle: Haus P und die Kliniktransformation in Winnenden

Was wie ein simpler Neubau aussieht, ist in Wahrheit ein komplexes Baupuzzle. Haus P muss gebaut werden, um die Suchttherapie aus Haus C aufnehmen zu können. Dafür musste wiederum Haus H weichen – ein Gebäude aus den 1930er Jahren, zuletzt von Musiktherapie und Seelsorge genutzt. Diese zogen in moderne Räume im Schlossflügel um. Selbst der Kinderspielplatz wurde verlegt, um Platz für den Neubau zu schaffen.

Diese bauliche Rochade ist nicht nur eine planerische Meisterleistung, sondern auch ein sensibles politisches Manöver. Denn der neue Maßregelvollzug, Haus N, wird mit rund 70 Plätzen hochgesichert errichtet. Ein Zaun, ein Therapiebereich, sogar ein Sportfeld sind geplant. Die Eröffnung ist für 2029/2030 vorgesehen.

Neubau Haus P: Modernisierung der Psychiatrie in Winnenden

Der Neubau Haus P soll bis dahin stehen – als moderner, funktionaler Ersatz für Haus C. Vorgesehen sind eine Station mit 25 Betten, eine Tagesklinik mit 26 Plätzen sowie eine Psychiatrische Institutsambulanz mit rund 30 ambulanten Patientinnen und Patienten täglich. Die Nähe zu Haus G, das akute suchtmedizinische Angebote bereithält, erlaubt künftig eine engere Zusammenarbeit.

Architektonisch setzt das Haus ein bewusst zurückhaltendes Zeichen. Kompakt, quadratisch, flach – in Farben und Materialien fügt es sich in das historische Ensemble rund ums Schloss ein. Innen soll es hell und offen werden, mit lichtdurchfluteten Innenhöfen und kaum fensterlosen Räumen. „Wir freuen uns auf ein Gebäude, das nicht nur funktional, sondern auch atmosphärisch überzeugt“, sagte Architekt Andreas Ludwig beim Spatenstich.

Auch in puncto Nachhaltigkeit will Haus P ein Vorbild sein: Geothermie, Photovoltaik, extensive Dachbegrünung und Betonkernaktivierung sorgen für eine umweltfreundliche Energieversorgung. Bereits beim Abriss von Haus H wurde das Material geschreddert und soll nun im Neubau wiederverwendet werden – ein Beitrag zum klimaschonenden Bauen, wie Rose-Losert betonte.

Bürgermeister Sailer: ZfP ist Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen

Winnendens Erster Bürgermeister Norbert Sailer betonte beim Spatenstich die Bedeutung des Projekts für die Stadtentwicklung. „Das ZfP ist nicht nur eine Klinik, es ist ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen“, sagte er. Was hier entsteht, sei ein sinnvoller Beitrag zur Daseinsvorsorge – und zur Akzeptanz psychiatrischer Versorgung.

Diese Akzeptanz herzustellen, war und bleibt eine Herausforderung. Denn der Maßregelvollzug ist ein Thema, das Ängste weckt. Der Begriff allein – ein juristisch-therapeutisches Zwitterwesen – sorgt für Verunsicherung. Dabei, so betonen Experten wie Marianne Klein, ärztliche Direktorin am Klinikum, sind es keine „Häftlinge“, sondern Patienten, die hier behandelt werden. Menschen, die durch ihre Sucht straffällig wurden, nun aber therapiert und resozialisiert werden sollen. Der Maßregelvollzug verfolgt das Prinzip „Besserung und Sicherung“ – nicht Strafe.

Wandel der Kliniklandschaft: Haus P als Startschuss für Winnenden

Mit dem Bau von Haus P ist der Wandel am Standort Winnenden eingeleitet. Doch er ist noch lange nicht abgeschlossen. Weitere Gebäude werden folgen, Umbauten stehen bevor. Und mit jedem neuen Bauwerk wächst nicht nur die Klinik, sondern auch die Verantwortung – für Therapie, für Sicherheit und für den gesellschaftlichen Diskurs.

Denn eines ist klar: Der Maßregelvollzug wird kommen. Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wie gut es gelingt, ihn in die Stadt und die Gesellschaft zu integrieren. Der Spatenstich für Haus P ist dabei nur der Anfang. Ein symbolischer, aber bedeutsamer.

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