Umsturz in Syrien Die Rückkehr der Flüchtlinge kann erst der zweite Schritt sein

Wie sicher ist Syrien nach dem Umsturz? Foto: dpa/Anas Alkharboutli

Das Regime von Baschar al-Assad ist zusammengebrochen. Sollten die aus Syrien geflüchteten Menschen jetzt schnell zurück in ihre Heimat? Es wäre falsch, voreilige Schlüsse zu ziehen, kommentiert unser Hauptstadtkorrespondent Tobias Peter.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Wahlkämpfer sehen die Welt oft anders, als sie tatsächlich ist. Es ist, als hätten sie eine Brille aufgesetzt, die ihnen „Augmented Reality“ zeigt, eine erweiterte Realität also. Oder sogar eine rein virtuelle Realität.

 

Politikerinnen und Politiker sehen dann mögliche Steuersenkungen oder eine unverzügliche Erhöhung der Rente, obwohl diese nicht einmal ansatzweise finanziert sind. Oder sie sehen die Chance, dass Syrer innerhalb kurzer Zeit in großer Zahl in ihre Heimat zurückkehren können – auch wenn das alles andere als klar ist.

Das Syrien des Baschar al-Assad war für viele Menschen die Hölle. Dass sein mörderisches Regime am Ende fast wie ein Kartenhaus eingestürzt ist, das ist ein Anlass zur Freude. Es hat Jubel ausgelöst – auch bei Syrern in Deutschland. Doch so richtig es ist, sich mit den Menschen zu freuen, so falsch wäre es, voreilige Schlüsse zu ziehen.

„Es muss sogar überlegt werden, wie eine stärkere Rückführung in die syrische Heimat vieler Menschen möglich ist“, hat CSU-Chef Markus Söder gesagt. Es ist vielleicht in näherer Zukunft ein richtiger Satz. Aber eben noch nicht jetzt – und nur vielleicht.

Die Lage in Syrien ist volatil

Ein ehrlicher, unverstellter Blick auf die Lage in Syrien kommt an der Erkenntnis nicht vorbei: So wenig Deutschland den schnellen Sturz Assads vorausgesehen hat, so wenig wissen wir über das, was jetzt folgen wird. Die Lage in Syrien ist volatil. Aus der Hölle Assads könnte schnell eine neue, andere Hölle werden. Auf eine Diktatur ist oft schon direkt die nächste gefolgt.

Das Ende eines Krieges kann der Anfang eines neuen sein, weil sich Milizen – die vorher im Kampf gegen einen Diktator vereint waren – gegenseitig bekämpfen könnten. Die Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) hat zwar einiges zum Schutz von Minderheiten und der Ablehnung von Racheakten verlauten lassen. Doch man wird sie, wie das Auswärtige Amt sagt, „an ihren Taten messen“ müssen.

Es kann auch, es wird hoffentlich in eine gute Richtung laufen. Nichts wäre den Menschen in Syrien mehr zu wünschen als eine positive Entwicklung hin zu mehr Stabilität für das Land und mehr Freiheit für den Einzelnen. Deutschland sollte also – gemeinsam mit europäischen Partnern und Ländern in der Region – möglichst viel dafür tun, damit die Sache in Syrien möglichst gut ausgeht.

Das ist auch im eigenen Interesse Deutschlands. Denn wenn Syrien stabil ist, werden keine oder kaum neue Flüchtlinge von dort nach Deutschland kommen. Und viele Menschen werden schon von sich aus zurückkehren wollen.

Die Geschichte mit den Mantel

Deutschland hat eine große menschliche Leistung vollbracht, als es Hunderttausende aus Syrien aufgenommen hat. Es ist aber auch ein berechtigtes Anliegen, dass Menschen in ihr eigenes Land zurückkehren, wenn dies wieder möglich ist. Die Syrer jetzt schon zur Rückkehr zu drängen, wäre aber so, als hätte Sankt Martin vom frierenden Bettler die Mantelhälfte beim ersten Sonnenstrahl sofort zurückverlangt. Ohne sicher sein zu können, ob der Mann nicht dennoch erfriert.

Der erste Schritt für Deutschland muss sein zu helfen, dass die Lage in Syrien sich möglichst stabilisiert. Die Rückkehr der Geflüchteten kann erst der zweite Schritt sein – und auch hier sollte Deutschland überlegen, ob es nicht klug wäre, gut integrierte, arbeitende Menschen im Land zu behalten.

Wer jedenfalls jetzt schon in Aussicht stellt, dass es zu einer schnellen und massenweisen Ausreise von Syrern aus Deutschland kommt, stärkt damit womöglich die Populisten. Denn sie werden Kapital daraus schlagen, wenn die Erwartung sich nicht erfüllen lassen sollte.

Weitere Themen