Der Greifvogel mit dem charakteristischen Gabelschwanz ist vor allem durch die intensive Landwirtschaft gefährdet. Allerdings können ihm auch Windräder zum Verhängnis werden.
Stuttgart - Feldhamster, Wachtelkönig, Juchtenkäfer – das sind alles Tierarten, die bedroht sind und deshalb unter strengem Schutz stehen. Und sie werden in der Öffentlichkeit oft zu Unrecht als Verzögerer des Fortschritts diskreditiert, etwa beim Bau von Gewerbe- und Wohnsiedlungen, Straßen oder Bahnhöfen. Dem Rotmilan droht, in eine ähnliche Schublade gesteckt zu werden. „Wird ein Standort für die Windkraft veröffentlicht, wird am nächsten Tag ein Milan gesichtet und das Projekt ist gestoppt“, klagte Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) voriges Jahr, nachdem das Regierungspräsidium Karlsruhe Pläne für einen Windpark in der Stadt Horb fallen ließ. Seine Befürchtung: Wenn Windkraftgegner den Bau einer Anlage verhindern wollen, müssen sie nur an der richtigen Stelle Brutplätze des Rotmilans ausfindig machen.
Die Sorge der Naturschützer um den Rotmilan, der auf der Suche nach Futter elegant und anmutig über Wiesen und Felder segelt, ist jedoch berechtigt. Der rostbraun gefärbte Vogel mit dem markanten gegabelten Schwanz wird deutschlandweit immer seltener. Zwischen 12 000 und 15 000 brütende Rotmilanpaare zählte der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) im vorigen Jahr. Um mehr als 35 Prozent schrumpfte die Population in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre.
Gravierender Rückgang
Das ist ein gravierender Rückgang, weil hierzulande mehr als 50 Prozent aller Rotmilane weltweit brüten. „Die hohe Brutvogelanzahl bedeutet für Deutschland eine besondere Verantwortung für Schutz und Förderung des Rotmilans“, sagt Beate Jessel, die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz (BfN). Aufgeschreckt durch den Sinkflug der Rotmilan-Bestände fördert das Bundesumweltministerium nun mit 1,8 Millionen Euro das Schutzprogramm „Land zum Leben“ für den bedrohten Vogel. In acht Bundesländern wollen der Deutsche Verband für Landschaftspflege, die Deutsche Wildtier-Stiftung und der DDA nicht nur Horstbäume schützen und pflanzen, sondern vor allem Landwirte beraten und sie motivieren, bei der Pflege der Felder mehr Rücksicht auf den Rotmilan zu nehmen.
Dass die veränderte Landnutzung eine wesentliche Ursache für den Bestandsrückgang ist, darüber waren sich Wissenschaftler und Landschaftspfleger einig, die sich jetzt zur Auftaktveranstaltung des Rotmilan-Projekts in Magdeburg trafen. „Der Rotmilan findet in einer ausgeräumten Landschaft mit intensiv genutzten Flächen nicht mehr ausreichend Nahrung“, sagt Christoph Grüneberg vom DDA. Wenn im Frühsommer Raps und Mais dicht und hoch wachsen, kann der Greifvogel keine Mäuse und sonstige Kleinsäuger ausmachen und erbeuten.
Kaum Beutetiere in Raps- und Maisfeldern
Die Folgen der Veränderung der Landwirtschaft für den Rotmilan verdeutlicht ein Beispiel aus Sachsen-Anhalt. Im nordöstlichen Harzvorland brüteten auf einer Fläche von 1500 Quadratkilometern im Jahr 1991 noch mehr als 600 Milan-Paare. Innerhalb von fünf Jahren schrumpfte der Bestand auf rund 300 Brutpaare. Ursache für den Rückgang: nach der Wende bauten die Landwirte kaum noch Futterpflanzen wie Luzerne und Rotklee sowie Hackfrüchte an, in denen sich Mäuse, Feldhasen und Feldhamster wohl fühlten, sondern vor allem Raps, Wintergetreide und Mais. Eine Tendenz, die sich bundesweit fast überall feststellen lässt. Diese Entwicklung macht nicht nur dem Rotmilan, sondern auch anderen Feldvögeln wie Rebhuhn, Kiebitz oder Feldlerche schwer zu schaffen.
Erschwerend kommt für den Rotmilan hinzu, dass Wiesen und Weiden zu intensiv genutzten Äckern umgepflügt werden, Landwirte Pestizide ausbringen, Waschbären Horste ausräubern und die Vögel immer wieder an Bahnstrecken, Straßen oder Stromleitungen zu Tode kommen. Illegal abgeschossen würden hierzulande zudem jährlich 250 bis 500 Milane, schätzt der DDA. Zudem drohen neue Gefahren, die aber noch nicht genauer erforscht sind, zum Beispiel der Klimawandel: „Ungeklärt ist, ob der Rotmilan überhaupt genug Nahrung findet“, sagt der Ornithologe Franz Bairlein, der das Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven leitet. Es sei nicht auszuschließen, dass etwa Mäuse heute jahreszeitlich früher auftreten und so dem Rotmilan für die Aufzucht der Jungen im Mai und Juni nicht mehr in der Menge zur Verfügung stünden, wie dies früher der Fall gewesen sei.
Windräder sind auch ein Problem
Auch zu den Folgen der Windkraft sind noch Fragen offen. Unbestritten ist, dass der Rotmilan eine der häufigsten Vogelarten ist, die den Rotoren zum Opfer fällt. Das liegt daran, dass er gerne in der offenen Landschaft jagt, in der aber auch die Anlagen stehen. Wie viele Vögel dabei zu Tode kommen, ist unbekannt. Bundesweit verlässliche Zahlen gibt es nicht. Laut Landesumweltamt Brandenburg, das Meldungen getöteter Vögel an Windkraftanlagen sammelt, starben seit 2002 in Deutschland mehr als 230 Rotmilane nach der Kollision mit den Rotoren. Die Datenbank enthält aber nur einen Bruchteil der tatsächlich verunglückten Tiere, die Dunkelziffer ist sehr hoch.
Allerdings hat Vogelforscher Bairlein Zweifel, ob die Zunahme der Windkraftanlagen wirklich eine so große Rolle für den Rückgang der Art spielt wie das viele Naturschützer derzeit diskutieren. „Die Bestände des Rotmilans haben schon seit Anfang der 1990er Jahre dramatisch abgenommen, also lange bevor die Landschaft mit Windkraftanlagen zugestellt wurde“, sagt er. Den ersten durch ein Windrad getöteten Rotmilan hätten Vogelkundler erst 1995 gefunden. „Windkraftanlagen sind eher einer der nicht ganz so wichtigen Faktoren für den Rückgang des Milans“, bilanziert der Forscher.
Etwas mehr Brutpaare in Baden-Württemberg
Ob das die Diskussion in Baden-Württemberg zwischen Befürwortern und Gegnern der Windkraft entspannen wird, bleibt abzuwarten. Der Südwesten gilt mit 1800 bis 2400 Brutpaaren neben Sachsen-Anhalt und Brandenburg als eines der Hauptverbreitungsgebiete des Rotmilans in Deutschland. Abweichend vom bundesweiten Trend scheint sein Bestand in Baden-Württemberg sogar zuzunehmen. Vor allem im Bodenseeraum kartieren Vogelkundler immer mehr Brutpaare. „Der Rotmilan zieht über den Winter nicht mehr weg, sondern überwintert hier“, erklärt Grüneberg. Damit vermeiden die Vögel den gefährlichen Zug Richtung Süden und zurück, bei dem viele ihr Leben lassen.
Greifvogel mit Gabelschwanz
Greifvogel
Der Rotmilan, wissenschaftlich Milvus milvus, im Volksmund auch gerne als Roter Drache oder Gabelweihe bezeichnet, ist durch seinen gegabelten Schwanz und die rostbraune Färbung des Gefieders gut zu erkennen. Er ernährt sich vor allem von Kleinsäugern und Aas, aber auch gelegentlich von Vögeln, Fischen oder sogar Regenwürmern.
Zahl
In Deutschland gibt es zwischen 12 000 und 15 000 Brutpaare, in Europa zwischen 20 000 bis 25 000. Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Baden-Württemberg sind die Hauptverbreitungsgebiete. Besonders verbreitet ist er im Südwesten auf der Baar und im Hegau.
Bedrohung
In Deutschland und Baden-Württemberg steht der Rotmilan nicht auf der Roten Liste bedrohter Brutvögel. Er ist über die EU-Vogelschutzrichtlinie geschützt.
Verwandter
Mit dem Rotmilan verwandt ist der Schwarzmilan. Er kommt in Deutschland nicht so häufig vor, ist aber in Europa mit bis zu rund 100 000 Brutpaaren sehr verbreitet. Er lebt bevorzugt in der Nähe von Fließgewässern in Auenwäldern.